Nochmals die Fürsorge für die entlassenen ^traf-
gefangnen
von Wilhelm Speck (in Lottl'us)
ie Grenzboten haben in Sachen der Fürsorge für die entlassenen Strafgefangnen einem Berichterstatter das Wort erteilt, der hauptsächlich oder einzig die Berliner Verhältnisse nnd den Berliner Verein im Ange gehabt zn haben scheint und auf Grnnd seiner Beobachtungen leider zu einer sehr ungünstigen Beurteilung des Für- svrgewesens gelaugt ist, die er dann mich in außergewöhnlicher Scharfe zum Ausdruck gebracht hat. Ich könnte es also dem angegriffnen Verein überlassen, selber das Wort zn ergreifen. Weil sich aber die Gegnerschaft des Verfassers wider alle Fürsorgevercine und das Fürsorgcwesen überhaupt richtet, so benutze ich gern die Gelegenheit, mich über eine Sache cmsznsprechen, die ich infolge meiner eignen Erfahrungen und auf das Zeugnis von Männern hin, denen man das Verständnis für die Zustände des Lebens nicht ohne weiteres absprechen kann, nun einmal für höchst wichtig und des allgemeinen Interesses würdig halten muß. Ju welchem Zirkel bewegen wir uns aber doch! Vor etwa hundert Jahren, im Jahre 1776 wurde der erste Verein zur Unterstützung von entlassenen Gefangnen gegründet durch Thomas Whister, einen edeln Samariter, dem der Zustand der entlassenen Gefangnen das Herz bewegte. In Deutschland war es Theodor Fliedner, dem der Schmerz über die Verlornen, der Sünde und Schande vcrfalluen Kinder seines Volks durch die Seele ging. Er gründete die Rheinisch-Westfälische Ge- fängnisgesellschaft (1826), bald darauf entstand der Berliner Verein, und seitdem haben sich in Deutschland eine Menge von Ortsvereinen gebildet, die mit größerer oder geringerer Lebhaftigkeit ihre Anfgabe zu erfüllen snchien, je nachdem in ihnen lebensvolle Persönlichkeiten wirkten oder nicht. Ursprünglich bekümmerten sich die Vereine auch um die innere Einrichtung der Strafhnuser, sie sorgten namentlich für die Belehrung und Erbauung der Gefangnen. Nachdem aber der Staat in den Strafhänsern Zustände geschaffen hatte, unter deuen eiue bessernde Einwirkung c>uf die Gefangnen erst möglich wnrde, konnten sie sich ihrer eigentlichen Aufgabe zuwendeu. Über die Notwendigkeit der Entlassencnpflege sind Bände znsammcn- gesprvchen und geschrieben worden, in einigen Ländern hat sich das Schutzwesen anch iu einer großartigen Weise entfaltet nnd hat Ergebnisse erzielt, die sich bei der Aufstellung der kriminalstatistischen Tabellen angeblich deutlich bemerkbar gemacht haben. Bei uns in Deutschland blieb die Fürsorge nn vielen Orten eine ziemlich tote Sache, bis, was Preußen betrifft, durch den Erlaß der Minister des Innern und der Justiz vom Jahre 189S uud die entsprechenden Versügungen der Kirchen- bchörden das Feuer wieder angeschürt wnrde. Und jetzt, wo man hoffen darf, daß die Sache in bessern Fluß kommen werde, geben die grünen Hefte, die so manchen Grenzbotm I 1899 69