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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben : neue Folge : 12. Der alte Gottlieb
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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

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Er war ein kleiner kluger Junge. Der Lehrer hat ihn immer vor den andern gelobt, und er ist mehrere Jahre lang Erster in der Schule gewesen. Rechnen war seine besondre Gabe, aber auch in Lesen und Religion leistete er seine Sache. Als er konfirmiert und mit einem besonders schönen Spruche entlassen wurde, sah sich Gottlieb den Thaler, den er für den Herrn Pastor auf den Teller legen sollte, mit nachdenklicher Miene an. Er kam ihm vor wie eine Scheibe Leber­wurst, und die alte Lebensregel tauchte in seinem Gedächtnisse auf: Du Dummerjan, das kannst du doch selber essen. Worauf er den Thaler in die Tasche steckte und ein Fünfgroschenstück auf den Teller legte.

Als er erwachsen war, war er der schmuckste Bursche im Dorfe, er hatte die dickste Pelzmütze, die schönste Pfeife und immer Geld in der Tasche, mit dem er gern klimperte, das er aber auch nicht sparte, wenn er sich selbst etwas Gutes er­weisen wollte. Aber bei den Mädchen war er nicht wohl gelitten, wenigstens nicht bei denen, an deren Wohlwollen ihm gelegen gewesen wäre. Und die andern, die sich an ihn heranmachten des schönen Hofes wegen, die mochte er nicht. So dumm! sagte er zu sich, die wollen doch bloß mit essen.

Die Freundschaft mit Kuhhirts Röschen war nicht gänzlich gelöst. Vielmehr lebte sie, als Röschen ein hübsches, großes Mädchen geworden war, wieder auf, nahm eine sehr ernste Gestalt an und hätte beinahe dahin geführt, daß Gottlieb Röschen heiratete. Aber seine kluge Mutter wollte es durchaus nicht. Sie rechnete ihrem Gottlieb vor, wenn er die Röse jetzt mit ein paar hundert Thaleru abfinde, so mache er immer noch ein gutes Geschäft, denn er bleibe frei und könne ganz gut ein Mädchen mit fünfzig Morgen Land kriegen. Das leuchtete Gottlieben ein. Er ließ sein Röschen sitzen, zahlte zweihundert Thaler und blieb frei. Röschen schrie zum Erbarmen, aber ins Wasser ist sie nicht gegangen, sondern hat trotz alledem noch einen braven Mann gekriegt. Und ihr Enkelsohn ist sogar Schulmeister ge­worden. Das sieht sie mit gerührtem Herzen als eine Entschädigung an, die ihr der liebe Gott dafür zahlt, daß sie von ihrem Gottlieb so schlecht behandelt worden ist.

Gottlieb also war frei geblieben und stolzierte, die Hände in den Taschen, manches Jahr umher und beschaute sich die Mädchen, die gut genug für ihn sein konnten, und machte mehr wie einmal Anstalt, einen Goldfisch für sich zu ergatteru. Aber die Sache kam nicht über die Anfänge hinaus, denn die Goldfische dachten genau so wie er, und Gottliebs Hof mit dreißig Morgen Land war ihnen zu weuig. Nun, er hatte es ja auch nicht eilig. Seine Mutter besorgte ihm die Wirtschaft, er begnügte sich mit flüchtigen Neigungen, die keine Konsequenzen hatten, und dünkte sich als Unverheirateter unmenschlich klug, wenn er sah, wie sich andre für Weib und Kinder plagen mußten, während ihm nichts abging. Sein Nachbar, der Rote-Hof-Bauer mit seinen sieben Kindern, was mußte der sich das ganze Jahr hindurch abrackern, und wie viel blieb von seinem Verdienste für ihn selbst übrig?

Du Dummerjan, sagte Gottlieb zu ihm, wenn du wärst wie ich, dann könntest dn es gnt haben. Was hast du nun mit deinen sieben Kindern?

Gottlieb, antwortete der Rote-Hof-Bauer, du redest, wie du es verstehst. Der Herr Pastor, als er mein siebentes taufte, sagte, Otto, sagte er, der Mensch lebt nicht von Brot allein.

Na ja, meinte Gottlieb, man will doch auch seinen Zacken Wurst dazu haben.

So redest du, ich bin aber schon mit dem Brote allein zufrieden, Wenns nur