Beitrag 
Gerhart Hauptmann und sein Biograph :
(Schluß)
Seite
158
Einzelbild herunterladen
 

158

Gerhart Hauptmann und sein Biograph

in den Märchengestalten (?). Aus der Welt des Menschengeistes treten in diese Natur typische Erscheinungen ein. Meister Heinrich ist keine Person für sich, sondern der hochstrebende, von Schönheit verlockte, verirrte Künstlergeist, wie er im Buche steht. Ebenso ist seine Frau Magda kein Wesen sür sich, sondern der Inbegriff eines verlassenen und betrognen Frauenschicksals. Die Knaben tragen das allgemeine Zeichen der Waisenschaft. Pfarrer, Schulmeister, Barbier, deren Namen wir gar nicht einmal erfahren, sind nichts andres, als eben Pfarrer, Schulmeister und Barbier. Sie alle sind weniger Menschen, als daß sie Menschliches repräsentieren. Dadurch erst erhalten sie jene Allgemeingiltigkeit, durch die sie sich einer andern Welt gegenüber behaupten können. Das historische Drama konnte noch naturalistisch sein. Dem transcendenten Drama gelingt es nicht mehr."

Im transcendenten gelang es Hauptmann nicht mehr," so hätte Schlenther sagen sollen. Denn daß in einer Jdeendichtung oder im Märchendrama nicht wirkliche Menschen, individuelle Gestalten von Fleisch und Blut auftrete» könnten, wie will man das erweisen? Und wenn es erwiesen wäre, so wäre damit unsers Erachtens das Urteil über diese Dichtungsart gesprochen, weil das Drama solche lebendigen Einzelwesen durchaus nicht entbehren kann. Hat es diese Kunst mit der Nachahmung des wirklichen Lebens zu thun, sollen wir glauben, daß die vorgeführten Personen lebende Wesen sind, so dürfen sie nicht Typen sein, sondern Individuen, d. h. also: nicht bloß Typen. Je mehr das Typische sich dem Zuschauer aufdrängt, desto mehr verlieren sie an Wahrheit, desto mehr wird die notwendige Illusion gestört. Vielleicht aber brauchte der obige Satz nur zu heißen:Im transcendenten gelang es Hauptmann noch nicht." Denn so sehr wir in dem Werke einen Fortschritt anerkennen, so weit sind wir doch davon entfernt, in ihm ein Meisterstück zu sehen. Es ist viel­mehr zu hoffen, daß es dem Dichter, der doch die Mitte der Dreißig kaum überschritten hat, noch gelingen wird, Idealismus und Realismus in besserer, in rechter Weise zu vereinen. Schiller hatte in diesem Alter auch noch keinen Wallenstein" geschaffen, damit tröste er sich und uns. Aber Schiller hat die zehn Jahre zwischen demDon Carlos" und seinem ersten Meisterwerk aller­dings strengster Geistesarbeit gewidmet, um die Lücken auszufüllen, die ihm selbst eine siebenjährige Schulung der Militärakademie gelassen hatte. Erst ein eingehendes Studium der Geschichte, der Antike und der Philosophie ließ in ihm die Geistesarbeit und die Geistesschärfe reifen, die ihn zur Erfassung der höchsten Menschheitsprobleme befähigte.

Daß dies Hauptmann noch fehlt, muß man aus der Unklarheit schließen, mit der er die Idee seinerVersunknen Glocke" erfaßt und durchgeführt hat. Es ist schon bedenklich, daß wir nicht recht erkennen, wodurch die Wandlung in dem Glockengießer Heinrich, der doch nach aller Mitmenschen Zeugnis bisher so Schönes geleistet hat, eigentlich hervorgerufen wird, und wodurch sie innerlich