Gerhart Hauptmann und sei» Biograph
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Goethe, der eins der größten Meisterwerke der Weltlitteratur, Kleists »Zer- brvchncn Krug,« auch nicht begriffen hat."
Das find Taschenspielerstückchen! Weil auch ein Goethe sich einmal irrte, sollen wir glauben, daß der „Biberpelz" ein gelungnes Drama ist. Es ist eben ein unfertiges Unganzes, das niemand befriedigt. Daß es in Wien im Hofburgthecitcr gefiel, beweist gar nichts. Aber Schlenther setzt große Hoffnungen auf diese Komödie wie auf den „Kollegen Crampton": mit den Bauernkomödien Ludwig Anzeugrubers sollen diese beiden Stücke der deutschen Zukunftskomödie den Weg aus der bretternen Flachheit auf die Höhen und in die Tiefen des Lebens weisen. Er sieht gar nicht, daß es im „Biberpelz" vor allem an Gemüt fehlt, daß zusammengestellte Porträts verdummter und verlotterter Menschen an sich keinen Genuß gewähren. Deshalb ist schwerlich anzunehmen, daß diese flachen Konterfeis der Wirklichkeit noch einmal eine große Rolle spielen werden. Wir möchten daher den „Biberpelz" am liebsten gar nicht mitrechnen und lieber eine Brücke schlagen vom „Kollegen Crampton" zu „Hanneles Himmelfahrt" insofern, als wir Hauptmann hier auf dem Wege fortschreiten sehen, ideale Mächte des Lebens zu erkennen, zu erfassen und in ihrer Wirkung auf den Menschen darzustellen. Bei des Dichters Rückkehr in die schlesische Heimat waren heimatliche Eindrücke wieder in seiner Seele lebendig geworden. Wieder stammten sie aus dem Elend, aus der Hefe des Volkes. Das Armenhaus und die verkommensten Dorfbewohner mußten abermals das Milieu abgeben und eiu armes, zum Tode geplagtes Mädchen auf dem Sterbebette die Heldin eines Dramas sein. Der eigentliche Gegenstand des Stückes aber werden die Fieberphantasien des Kindes, die mit ihrem himmlischen Inhalt seine Seele stärken.
Wie Hauptmann auf diese Idee gekommen ist, stellt die Biographie sehr hübsch dar. „Wie eine Windesharfe sei deine Seele, Dichter! Der leiseste Hauch bewege sie. Und ewig müssen die Saiten schwingen im Atem des Weltwehs; denn das Weltweh ist die Wurzel der Himmelssehnsucht. Also steht deiner Lieder Wurzel begründet im Weh der Erde; doch ihren Scheitel krönet Himmelslicht." Mit diesen schönen, sein ganzes dichterisches Wesen durchleuchtenden Worten, sagt Schlenther, wollte Hauptmann 1885 „Das bunte Buch" eröffnen. Wo in diesem „Bunten Buch" die lyrische Form allmählich von der epischen Form abgelöst wird, steht ein langes Gedicht, das „Die Mondbraut" heißt und deu Kontrast zwischen Weltweh uud Himmelssehnsucht aus der Seele des Dichters in die Seele eines phautasiebcgabteu Volkskindes übertrügt. Ein armes, verwaistes Bettelkind, Bergliese genannt, hat unter den Fäusten und Flüchen ihres grausamen Pflegevaters bitterlich zu leiden. Er jagt sie bei Nacht aus dem Hause hiuaus in Sturm und Schnee. Sie irrt über Feld. Ermattet sinkt sie beim Neisigsammeln vor einer hohen, schlanken Fichte nieder, die im Mondenscheiu himmelan strebt. Bergliese schläft vor