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Kaiserliche Finanzen
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Politik und Finanzen in Rußland

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oder dem Reiche zufiele. Aber an der ganzen Sache war wieder kein wahres Wort. Derartige Ausgaben trägt der Kaiser allein und legt sie nicht dem Lande ans. Wir sind eine wunderbare Nation! In Amerika und Frankreich scheint mau mitunter die Republik satt zu haben, und überall im Auslande beneidet man Deutschland um seinen thatkraftigen Herrscher. Wir aber, statt uns dessen zu freuen und stolz darauf zn sein, kritisieren und nörgeln so viel wir nur irgend können, und fehlt uns dazu der Grund, so schaffen wir ihn uns künstlich.

An der Verbreitung gewissenlosen und schädlichen Klatsches nehmen auch Leute teil, die sich gern national, königstreu, staatscrhaltend usw. nennen. Sie vergessen dabei, daß unsre innern Zustünde wahrhaftig nicht durchweg glän­zender Art sind, und daß im Jahre 1898 sür die svzialdemokratische Partei l'/t Millionen Stimmen abgegeben worden sind, nicht minder, daß es diese Partei von 11 Neichstagsmandaten im Jahre 1887 auf 56 im Jahre 1898 ge­bracht hat- Es ist deshalb geradezu gewissenlos gehandelt, wenn man den schon reichlich vorhcmdnen Zündstoff noch durch falsche Gerüchte vermehren hilft. Worin zeigt sich denn Vaterlandsliebe und Treue? Etwa darin, daß mau in einer großen Schar mitruft, wenn ein Hoch ans den Kaiser ausgebracht wird,in das die Versammlung begeistert einstimmt," oder darin, daß man gegebnen Falls nicht nur feindlichen Elementen gegenüber, sondern vor allem auch im Kreise guter Freunde und Gesinnungsgenossen den Mut hat, scharf und entschieden des Kaisers Sache zu führen und es auch zu ertragen, wenn man nach beliebter ModeByzantiner" gescholten wird? Den besten Erfolg wird man haben, wenn man in der Lage ist, falsche Gerüchte sachlich zu widerlegen; deshalb haben wir geglaubt, den Lesern der Grenzboten einen Dienst zn erweisen, wenn wir ihnen dazu das Material in die Hand gaben.

L. von Massow

Politik und Finanzen in Rußland

er russische Finanzminister, Herr Witte, hielt sich im Herbst des vorigen Jahres auf seiner Reise nach Paris einige Tage in Berlin auf und soll, so sagt man, nicht übel Lust gezeigt haben, unsern Geldmarkt mit einer neuen russische» Anleihe zu bereichern. Er fand taube Ohren und mag in dem befreundeten Frankreich kaum bessere Aussichten gefunden haben, da der gegenwärtige Geldstand in West­europa und die gegenwärtige Stimmung in Paris fürchten lassen, daß es ihm schwer werden dürfte, den russischen Staatsschatz durch neue Auleiheu bei