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Die Weltlage am Jahresanfang
amerikanische Freundschaft ihm keinen genügenden Beistand gewähren wird. Daher, im schärfsten Gegensatze zu den Grobheiten und Hohnreden von 1896, ein inbrünstiges Liebeswerben um die Freundschaft Deutschlands, nach der bekannten, uns schon oft vorgepfiffnen Melodie von der Unüberwindlichkeit eines Bundes der stärksten Seemacht mit der stärksten Landmacht.
So stellen sich die Mächte zu uns, die bisher nicht zu unsern Freunden zählten. Und die Genossen des Dreibundes? Daß die unzweifelhafte Annäherung Italiens an Frankreich ein Abrücken vom Dreibunde bedeutet, kann ohne weiteres um so weniger behauptet werden, als sich seine Verpflichtungen nur auf die gemeinsame Abwehr Frankreichs beziehen, und ein französischrussischer Angriff auf Deutschland gegenwärtig ganz unwahrscheinlich ist. Eher wird man in England die Empfindung haben, daß sich Italien von ihm einen Schritt entfernt habe, denn wenn es von Frankreich nichts mehr zu befürchte» hat, so bedarf es der englischen Hilfe nicht mehr, und wenn sich die beiden größten Seemächte des Mittelmeeres friedlich vertragen, so ist dies für Englands unnatürliche Vorherrschaft dort keine Verstärkung. Größeres Bedenken haben bei uns die ungeschlichteten und unentwirrbaren Händel iu Österreich-Ungarn erregt. Zwar hat Graf Thun soeben erklären lassen, daß er „amtlich und persönlich" ein überzeugter Anhänger des deutschen Büudnisses sei; aber die Thatsache kann er nicht aus der Welt schaffen, daß die Bevölkeruugskreise des Kaiserstaats, die gegenwärtig zur Herrschaft emporstreben oder sie schon in Händen haben, die Slawen, Feudalen und Klerikalen keine Freunde dieses Bündnisses sind, sondern das Gegenteil, und jedenfalls abgesagte Feinde des Deutschtums überhaupt, gleichviel, ob sie damit in eignem Interesse oder gar im Interesse ihres Staates handeln oder nicht. Die nähern Beziehungen, die Österreich mit Nußland angeknüpft hat, beziehen sich jedenfalls auf die Balkan- Halbinsel und können uns schwerlich unbequem werden, aber wir werden immer gut thun, daran zu denken, daß Bündnisse nur so lange fortdauern wie die Lage, aus der sie hervorgegangen sind.
So ist Deutschland in der merkwürdigen Lage, daß bei uns das Vertrauen an die Unerschütterlichkeit des Dreibundes abgenommen hat, und daß wir auf der andern Seite eifrig umworben werden von den Nachbarn, die wir bisher nicht zu den guten zählten. Wahrlich, keine ungünstige Stellnng, aber nur für eine starke, selbstbewußte, lcistungs- und bündnisfähige Macht. Daß wir das bleiben müssen und bleiben wollen, darauf weist die neue Militärvorlage hin und die ernste Äußerung des Kaisers gegenüber dem Neichstags- präsidenten, die an das Wort Friedrichs des Großen anklang: Ioujour8 su, vsäLtts, nsrt' st vissusur! Jedenfalls ist es die Aufgabe Deutschlands, zu verhindern, daß die außereuropäische Welt einfach angelsächsisch und kosakisch werde, und darauf hinzuarbeiten, daß es selbst seinen gebührlichen Anteil daran neben den übrigen großen Kulturvölkern erhalte, damit ein gesundes Gleichgewicht zwischen ihnen hergestellt werde, wie es in Europa schon besteht.