Die Weltlage am Jahresanfang
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innerer Zusammengehörigkeit. Sogar der Traum eines angelsächsischen Bündnisses, das die Welt beherrschen soll, ist aufgetaucht und wird vielleicht in irgend welcher Form Gestalt gewinnen. Begreiflich genug, denn auch das Selbstgefühl der Engländer ist mächtig gestiegen seit ihrem großen Erfolge im Sudan, der ihnen, obwohl er militärisch sehr leicht wiegt und nur in der meisterhaften Überwindung des Raumes eine gewisse Größe hat, die Herrschaft über das Nilthal in die Hände gegeben hat. In dieser Stimmung haben sie mit einer Energie, die ihnen nach so vielen Beispielen großmäuliger Prahlereien und mutigen Zurückweichens niemand zugetraut hätte, durch bloße Seerüstungen und Drohungen die Franzosen aus dem Nilgebiet einfach hinausgeworfen und damit einen der Lieblingspläne dieser großartig angelegten Kolonialpolitik durchkreuzt. Frankreich aber, durch den Zwiespalt zwischen Militär- und Zivilgewalt, zu dem sich der unselige Dreyfushandel dank der Macht des internationalen Judentums ausgewachsen hat, in allen Gliedern gelähmt und von seinem angebeteten russischen Freunde bei dieser ersten ernsten Probe im Stiche gelassen, hat sich ohne jeden ernsten Widerstand unterworfen, ein Fall, der ini Grunde ebensowenig erwartet werden konnte wie die Energie Englands.
Die kühle Haltung Rußlands diesem Konflikte gegenüber ist freilich völlig begreiflich. Mit dem Friedensmanifest in der Hand kann der Zar unmöglich einen Krieg beginnen, der nicht die eigensten Interessen Rußlands berührt. Daß es von ihm persönlich ganz ehrlich gemeint ist, kann man, trotz der gegenteiligen Ansicht der Petersburger Gesellschaft, ebenso wenig bezweifeln, wie daß es den sehr praktischen Bedürfnissen der russischen Politik entspricht. Sie ist eifrig dabei, ihre Stellung in Ostasien, wo sie deu Engländern unangreifbar ist, zu erweitern und zu befestigen. Hinter diesen Plänen ist der Vormarsch nach dem Hindukusch jetzt ebenso gut zurückgetreten, wie der nach dem Bosporus, und ehe sie nicht bis zu einem gewissen Grade durchgeführt sind, wird und muß Rußland Frieden halten.
Ein mächtiger Aufschwung des Angelsachsentums und eine vorsichtige Zurückhaltung Nußlands, das indes unter dieser Deckung ununterbrochen seinem Ziele zustrebt, geben der Weltpolitik des Jahres 1898 ihre am meisten hervorstechenden Kennzeichen. Wie stellt sich Deutschland dazu?
Unsre Lage ist zunächst dadurch gegen früher erleichtert, daß sich zwischen Frankreich und England seit der Entscheidung über Faschoda ein breiter, schwer auszufüllender Spalt aufgethan hat, und daß zugleich die französisch-russische Freundschaft in einem sehr empfindlichen Falle für Frankreich nutzlos gewesen ist. Diese bittere Erkenntnis hat sich dort schon hier und da zu dem Wunsche einer Aussöhnung mit Deutschland verdichtet und sicherlich zu der bemerkenswerten Annäherung an Italien, zunächst auf handelspolitischem Gebiete, wesentlich beigetragen. Aber auch in England kann man offenbar das Gefühl nicht los werden, daß ein Entscheidungskampf mit Rußland doch schließlich nicht zu vermeiden sein wird, und daß in diesem Falle auch die begehrte