708 Litterarische Rücksichtslosigkeiten eines Hagestolzen
reichen Formen genau kennen, ohne daß der Versuch gemacht wird, alle diese Schönheitsmerkmale erst dann zu zeigen, wenn sie in Bewegung sind.
Die Verfasserin behauptet, daß sich Wcmda trotz ihrer nchtunddreißig Jahre „großartig konservirt hat." „Ihre Augen erstrahlen in jugendlichem Feuer," Ihrer wiederholten Versicherung müssen wir auch glauben, daß sie „liebenswürdig und geistreich" ist, wenn wir auch nichts davon sehen.
Nnn kehrt die Tochter zurück ius Elternhaus, selbstverständlich ein Unikum jugendlicher Reize — „blondlockig, mit lachendem, fröhlichem Kindergesicht. Wie im Finge hatten sich ihr die Herzen der lieben Bekanntet: und Verwandten zugewandt. Man hätschelte und verzog die kaum erschlossene Mädchenblüte."
Unsre einfachen Mädchennamen sind natürlich nicht ausreichend für diesen Engel ohne Flügel. Sie hieß Edith. Ihre Liebenswürdigkeit ist überwältigend. Die Verfasserin sagt: „Sie betrug sich wie ein Kobold, war zu allein Unfug bereit, »eckte alte weißköpfige Onkel und alte Tanten und war dann wieder die Aufmerksamkeit selbst." So sind die Redensarten, die uns für die fehlende Phantasie entschädigen sollen. Die Verfasserin sagt es gerade nicht — dazn ist sie zu gebildet —, man sieht aber, daß ihr das Wort in der Feder gestockt hat — Edith war so ausbündig schön und nett, daß alle Welt „hin War."
Den Vater sehen wir in der ganzen Geschichte nicht. Es wird nur gesagt, daß er eiu „genialer Künstler" ist, nnd daß er einen regen, geselligen Verkehr liebt. Wir dürfen das aber solcher Versichernngen ungeachtet bezweifeln, da wir thu niemals in den Gesellschaften sehen. Wäre es anders, er würde uns weniger „genial" vorkommen. Denn Väter, die arbeiten und arbeiten müssen, die noch andre Pflichten haben, als gut auszuseheu und „Star" zu sein, gehören überhaupt nicht in Erzählungen hinein, worin es nach Schminke und Puder riecht, wo die Seidenkleider durch die Spalten rauschen nnd knistern.
Es kommt die Aschermittwvchsredoute. Jawohl „Redoute." Und mit dieser „Redoute" kommt das Verhängnis für Mutter Wcmda. Sie hat schon so etwas geahnt. Als die Tochter im Saal erscheint, deckt eiu Nebelschleier ihre Augen, das heißt die Angen, die „noch im Fener der Jugend erstrahlen." Die böse Ahnung beschattete sie schon, als sie Toilette machte. Sie hat deshalb auch besondre Sorgfalt darauf verwandt. „Ein weicher, weißer Hermelinpuder ist auf die vollen, runden Wangen aufgetragen." Wir erfahren jetzt ausdrücklich, daß sie nicht zu den ihrer Schönheit unbewußten Frauen gehört. Sie hat sich vor dem Spiegel geprüft und uach den ersten Fältchen unter den Augen geforscht. Beruhigt hat sie den Kopf zurückgeworfen: „Noch nicht, noch war die Jugend nicht entschwunden." Noch einmal fühlt sie den Triumph nach, den sie noch vor wenigen Tagen gehabt hat, als der Legationsrat von R. . . hinter einem Legationsrat thun fies selten uud ohne Helden von Adel nnn gar nicht, das Glück der bürgerlichen Welt besteht iit wohlwollender Verwendung als bescheidne Staffage), die Mama Wcmda fühlt also noch immer den Triumph von vorgestern, als der Legntionsrat von R. auf ihren Rat, doch auch eine Frau zu wählen, erwiderte: „Er habe noch keine Frau gefunden, die ihr (nämlich dem »Star« Wanda) an Geist und Schönheit gleiche, er sei ihr Sklave."
Die Verfasserin meint damit, eine interessante Bemerkung mitgeteilt zu haben. Es sind mir Beispiele bekannt, daß aus der Frauenwelt geradezu maßlose und für uns unverständliche Eutrüstungsrufe laut werden über Ansichten, die mir durchaus gesund erschienen sind. Nun muß ich gestehen: hier reicht mein Verständnis nicht aus. Ich halte es für eine fragwürdige Sittlichkeit, weun sich mangelhaft bekleidete