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Zur äußern Geschichte unsrer Sprache
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und dem Tempv der Rede tritt das geschichtliche vollends hinter das prinzipielle zurück. Die einfachste Einteilung, die sich aus der Lantgeschichte ergiebt, ist die in eine Zeit liberwiegender Fähigkeit zum Lautwandel und eine Zeit laut­lichen Stillstandes, wie er etwa seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts durch den konservirenden Einfluß der Schriftsprache herbeigeführt worden ist. Diesem Hauptschnittpunkt entspricht für die Geschichte der Formen das Jahr 1650, mit dem etwa der Unterschied zwischen dein Singular und Plural der starken Verba endgiltig schwindet. Eingehendere Periodisirungen außer diesen Punkte» für jedes Gebiet zu finden wird sich ermöglichen lassen und ist Hauptaufgabe eines Geschichtschreibers der dentschen Sprache. Zu Perioden nicht nur der äußern, sondern der deutschen Sprachgeschichte überhaupt werden sich solche Abschnitte freilich erst stempeln lassen, wenn sie sich als zusammenfallend werden erweisen lassen mit Abschnitten der innern Geschichte unsrer Sprache. Nach etymologischen Gesichtspunkten, nach dem Ausbau besondrer Gebiete des Sprach­inhalts zu verschiednen Zeiten, nach einer veränderten Auffassung der Dinge, die sich aus der Sprache ergiebt, die Sprachgeschichte zu periodisiren, dazu fehlt auch noch jeder Versuch. Und doch wird erst eine Durcharbeitung auch dieser Fragen an eine endgiltige Periodisirung der deutschen Sprache denken lassen. Daß wir mit der landläufigen Einteilung in alt-, Mittel- und neu­hochdeutsch aus der Not eiue Tugend machen, ist bei Behaghel sehr hübsch nachzulesen: dieÜbergangsperioden" wachsen den Hauptperioden über den Kopf, das deutlichste Symptom für die Unhaltbarkcit einer Periodisirung. Auch Behaghel denkt daran, wenigstens syntaktische Kriterien anstatt der bloß laut­lichen einzuführen, aber werden so isolirte Thatsachen ausreichen wie der Genitivschwund der doch auch eigentlich wieder rein formal ist, denn die Funktion des Genitivs bleibt bestehen, wenn von mit dem Dativ für ihn ein­tritt ^ oder ein partieller Tempnsschwnnd, wie ihn Süddeittschlcmd mit dem Jmperfektum durchgemacht hat?

Nach dem tüchtigen, aber einseitigen Ausbau unsrer historischen Grammatik ans dem Gebiete der Laut- und Formenlehre, dessen reifstes Ergebnis wir in Behaghels Arbeit neben der Wilmannsschen Grammatik vor uns haben, gilt es, die tiefern geschichtlichen Fragen anzugreifen, die unsre Sprachgeschichte in die Geistesgeschichte des deutschen Volkes einzureihen erlauben werden. Dazu bedarf es vor allem fleißiger Arbeit auf dem Gebiet der innern Sprachgeschichte.

Grknzboten IV 1898

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