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Das Ludwig Richter-Denkmal in Dresden
diesem allerdings der Sieg zuzuerkennen sein: nicht nls ob es unserm Richter an poetischer Auffassung fehlte, aber er erreicht nur selten die hier so viel zur glücklichen, dem Gegenstand entsprecheudeu Wirkung beitragende Vornehmheit der Gestalten, die sprudelnde Frische des heitern Wiener Meisters, auch ist er nicht in dem Maße wie dieser für das Phantastische begabt, W. H. Riehl (a. a. O. S. 437) giebt mit knrzen Worten den Unterschied zwischen den beiden Meistern folgendermaßen an: „Ju ihrem Ideal und in neidloser Anerkennung standen sich beide brüderlich nahe: Nichter, der das Wahre so poetisch, uud Schwind, der die Poesie so wahr gemalt hat," Daß der Schwerpunkt der Nichterscheu Kunst im Gegensatz zu der Schwinds iu der Darstellung des „Wnhreu" liegt, ist der Grund, warum Richter dem Meister Schwind als Romantiker nicht ganz ebenbürtig zur Seite steht. Der gleiche Umstand aber macht seine Märchenbilder um so verständlicher für ihr eigentliches Publikum, die Kinderwelt, und läßt, was die Hauptsache ist, den Meister zu einem um so trefflichern Schilderer des deutscheu Volkslebens werden.
Der Übergang vom Nomantiker zum Maler des Alltagslebens ist anscheinend sehr groß. Die meisten Anhänger der romantischen Richtung glaubten nur durch die Wiedererweckung des alten, längst begrabnen Lebens Poesie in ihr Dasein bringen zu können; die wirklich in ihm liegende Poesie verkannten sie völlig. Ganz anders Richter, Das Verständnis für sie zu weckeu, war das Ziel, das er bei vieleu seiner Arbeiten im Ange hatte, vor allem bei den vier Heften „Fürs Haus," mit denen er, wie es im Vorwort heißt, ein Werk schaffen wollte, „welches im Spiegel der Kunst jedem zeigt, was jeder einmal erlebte: der Jugend Gegenwärtiges und Zukünftiges, dem Alter die Jugeudheimat, den gemeinsamen Blumeu- und Paradiesesgarten, der den Samen getragen hat für die spätere Saat und Ernte."
Das Verständnis für das reiche Maß von Poesie, das auch im Alltagsleben des Volkes verborgen liegt, mag dem Nomantiker schon bei manchen seiner Jllu- strationsarbeiten, zunächst bei den Jäger- und Volksliedern cmfgegcmgen sein, dann auch bei seinen Zeichnungen zu den Geschichten von Jeremias Gotthelf, Peter Hebel, Berthvld Auerbach u. a. Von Einfluß war auch die liebevolle Art und Weise, mit der die alten Niederländer ihre Umgebung behandelten. „Ich möchte, so schreibt Nichter auf einer Reise durch die Niederlnude im Jahre 1349, jetzt nnr meine sächsische» Gegenden und Hütten malen, uud dazu die Menschen, wie sie jetzt sind, nicht einmal mittelalterliches Kostüm. Ein Frühlingstag mit grünen Korn- und gelben Nübsenfeldern, jung belaubte Linden- und Obstbämne, den Bauer, der da ackert im Schweiße seines Angesichts und auf Hoffnung von Gottes Segen, nnd die kleinen, talkigen, uuschuldigeu Bauernkinder, die dem Vater einen Trnnk bringen, oder heiter spielen nnd Sträuße binden, da sie noch im Paradieszustande der Kindheit leben, während der Alte arbeiten muß; dazu Schwalben in der Luft, Gänse auf der Wiese nnd Goldammern im Gebüsch, der Hansspitz oder die Kühe auch bei der Haud; das alles so recht treu, streng, innig uud lieblich wiedergegeben in Memlings Siuu und frommer, einfältiger nnd liebevoller Weise, das hätte gewiß Interesse uud Bedeutung genug. Wir können nicht immer und nicht alle Heiligenbilder machen." In diesen Worten findet sich eine Eigentümlichkeit der Richterschen Bilder angedeutet, auf der zum großen Teil die poetische und zugleich auch die volkstümliche Wirkung beruht: die dem deutschen Vvlkslicde verwandte innige Verbindung, in die der frühere Landschafter den Menschen mit der ihn umgebenden toten nnd lebeudeu Natur treten läßt.
Eine weitere echt volkstümliche Eigenschaft der Richterschen Knnst ist die Be-