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Zum 15. Juni
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Zum ^5, Juni

und am liebsten so hieß. Er ist gewiß ein ganzer und ein begeisterter Soldat, vielleicht ein bedeutender Feldherr, aber mindestens ebenso groß ist sein geradezu fachmännisches Interesse für die jnnge Marine, für das er in der Geschichte seines Hauses kein Vorbild hat, und seine Jugendbildung war viel umfassender als die des Großvaters. Daher seine lebendige Teilnahme an den verschieden­artigsten Zweigen des geistigen Lebens, seine Sprachgewandtheit, seine Hin­neigung zur bildenden Kunst, in der er nicht nur sehr bestimmte Ansichten hegt und ausspricht, sondern der er auch nach seinem Geschmack und seinem Willen große Aufgaben zu stellen liebt, unbekümmert um die Kritik am Wege. Wilhelm I. zeigte auch in seinen Reisen große Regelmäßigkeit und blieb über­wiegend, so zu sagen, zu Hause; Wilhelm II. ist immer unterwegs, er giebt seiuem Kaisertums etwas von derreisigen Allgegenwart" des mittelalterlichen Kaisertums in seiner großen Zeit, und er hat darüber hinaus auch Rußland, Skandinavien, England, Italien und den türkisch-griechischen Orient mehr als einmal aufgesucht. Wohl wird darüber geredet und gelegentlich auch gespöttelt, aber man vergißt dabei, daß Kaiser Wilhelm II. vor seiner Thronbesteigung für einen Fürsten sehr wenig von der Welt gesehen hat, daß er auf diese Weise allen Teilen der Nation gleich nahe kommt, und daß hente die lebendige Anschauung fremder Länder und Menschen von ganz bcsonderm Werte ist. In dieser Beziehung hat der Kaiser einmal halb im Ernst, halb im Scherz gegen­über seinem Bruder geäußert, er habe es nicht so gut gehabt wie dieser, denn während Prinz Heinrich die Reise um die Welt gemacht hätte, habe er auf dem Exerzierplatz in Potsdam den Paradeschritt üben müssen. Die frische, lebhafte Empfänglichkeit, aus der solche Wanderlust entspringt, drängt den Kaiser auch dazu, seiue Gedanken und Wünsche oft einmal rückhaltlos auszu­sprechen, ohne darnach zu fragen, ob alles und jedes einer strengern Prüfung Stich hält, oder ob dem Worte immer die That folgen kann. Es ist eben nicht jedermanns Sache, auch nicht Sache jedes Fürsten, nur im Lapidnrstil und immer wie für die Ewigkeit zu reden; die natürliche Menschlichkeit hat auch ihr gutes Recht, selbst bei einem Kaiser, und eiu Redner ist er. Daß er seinen Willen sehr entschieden znr Geltung zu bringen versteht, daß er wirklich sein eigner Kanzler und die Seele seiner Negierung ist, das empfindet und weiß die Welt. Und er will wie die Macht, so auch die Pracht der Monarchie; er liebt persönlich den Glanz, und er erfreut sich seiner. Kurz, Wilhelm II. hat die lange Reihe der Hohenzollern um einen ganz neuen Typus bereichert, der von dem des Großvaters sehr weit abweicht. Ist das ein Fehler? Ist es nicht das gute Recht der lebendigen, der wirklichen Monarchie, der Persön­lichkeit des Herrschers Ranm zn freier Bethätigung zn lassen, auch wenn diese zuweilen manchem unbequem wird? Dergleichen Schattenseiten muß man nm ihrer unersetzlichen Vorzüge, willen mit in den Kauf nehmen. Jeder moderne Mensch verlangt heute nach freier Entfaltung seiner Eigentümlichkeit, und dem höchst gestellten Menschen sollte sie verwehrt sein?