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Die hannoverschen Nationalliberalen
Rückzugsgefechte seiner Gegner kaum beachtet. Er schaltet fast wie ein Souverän, er bestimmt die Kandidaten für die ländlichen Wahlkreise — und die meisten Kreise sind ländlich —, vhne sich um die ciltweiberhaften Klagen des Hannoverschen Kuriers und der übrigen nationalliberalen Presse zu kümmern. Er ist recht hart, dieser Dr. Hahn, und ihn rührt weder das Gezeter über „Einbrüche" noch der abgestandne Hinweis auf die mittelbare Begünstigung sozialdemokratischer Wahlsiege. Er hat nichts dagegen, daß sich der eine oder der andre seiner Kandidaten vorläufig äußerlich der natioualliberalen Fraktion anschließt, aber er hält streng darauf, daß jeder Kandidat in erster Linie sicherer Gefolgsmann des Bundes ist und auf das agrarische Programm verpflichtet wird, das in allen Punkten bislang — wohlverstanden: bislang — von den Nationalliberalen bekämpft wurde. Unter diesen Bedingungen nimmt er die Leute an, die ihm aus dem Lager der Natioualliberalen zur Prüfung und Bestätigung ihrer Kandidaturen zugeführt werden. Es war ergötzlich zu scheu, wie die nationalliberalen Wahlkomitees, eins nach dem andern, teils unter lauten Wehklagen, teils in dumpfer Resignation vor ihrem Bcsieger zusammenbräche». Sie waren schwach und würdelos genug, ihren eignen — nach ihrer Meinung bewährten — Kandidaten sofort fallen zu lassen, sobald die Buudesleitung dessen Aufstellung mißbilligte und statt seiner einen der ihrigen aufstellte, wenn dieser nur die unverbindliche Erklärung abgab, daß er „politisch" auf nationalliberalem oder auch nur auf „nationalem" Boden stehe. Sie sind so genügsam geworden, daß sie es schou als einen Erfolg ihrer Partei ansehen, wenn die so vom Bunde abgestempelten Personen als Sieger aus der Wahlurne hervorgehen. Erst ganz vor kurzem haben sich in einem Wahlkreise (Hamelu-Springe) die Nationalliberalen der Leitung zum Trotze auf ihre Vergangenheit besonnen und den Kandidaten des Bundes abgestoßen, den sich ihre Führer iu Hannover schon achsclzuckend hatten gefallen lassen. Dieser Vorgang hat den Mut der Natioualliberalen auch in andern Gegenden wieder einigermaßen belebt und zur Nacheiferuug augereizt. Jedoch kommt diese Ermcmnuug gegenüber der vorgeschrittucu Wahlbeweguug allem Anschein nach zu spät.
Die ganze Wahltaktik der Personen, die durch ein widriges Geschick Leiter der nationalliberalen Sache im Hannoverschen geworden sind, läuft zur Zeit darauf hinaus, die Partei äußerlich zusammenzuhalten, möglichst wenig Einbußen an Zahl zu erleiden und fremdartigen Elementen ihre Firma zur Verfügung zu stellen, unbekümmert um die innere Festigkeit der Partei und ohne Sorge darum, daß durch solche Taktik die Auflösung der Partei besonders gefördert wird. Die Natioualliberalen trösten sich damit, daß der Bund der Landwirte eine wirtschaftliche Partei ist, und daß er für politische Fragen, die mit wirtschaftlichen nicht zusammenhängen, seinen Mitgliedern keine Verpflichtungen auferlegt — aber war nicht das Zentrum ursprünglich auch eine rein kirchliche Partei, das seinen Mitgliedern iu nichtkirchlichen politischen Fragen freie Hand ließ, und ist es jetzt nicht eine eminent politische Partei geworden?