Endlich den Beruf gefunden
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vom Jahre 1878 ab; eine Zeit lang war ich ein entschiedner Anhänger seiner neuen Sozial- und Wirtschaftspolitik. So brachten mich die Ereignisse, wie gewöhnlich, in Konflikt mit meinen nächsten Freunden und mit der Partei, auf die ich angewiesen war. Die hiesige liberale Partei war freilich das Gemisch, das ich oben beschrieben habe, aber ihr Grundton war fortschrittlich und dabei kulturkämpferisch. Puttkamer als Kultusminister war ihr ein Greuel, die Verhandlungen mit Rom verstimmten sie, und die Schwenkung in der Sozial- und Wirtschaftspolitik focht zwar die Führer, die ja meistens Beamte waren, an sich nicht an, aber die Bezeichnung reaktionär, die der neuen Richtung beigelegt werden konnte und beigelegt wurde, war ihr doch unangenehm. Was ich also an Politischem vor Übernahme der Redaktion in das Blatt geschrieben hatte, war zwar sehr bismarckfreundlich, aber durchaus nicht nach dem Geschmack der bisherigen Bismarckpartei, wenigstens nicht ihres Hauptstammes, sodaß ich nur einige höhere königliche Beamte und einen Teil der Bürgerschaft auf meiner Seite hatte.
Und nicht lange dauerte es, da war ich genötigt, es auch mit dem land- rütlichen Kreise zu verderben. Von den Bändern, die mich ein paar Jahre an Bismarck gefesselt hatten, riß eins nach dem andern. Zunächst wurde mir das Agrnriertum verdächtig gemacht — von einem Landwirt. Der Gutsbesitzer Johann Michael Grützner in Neinschdorf ist ein Jdealbauer. Ein langer, hagerer Mann, mit seinen zweiundsiebzig Jahren noch so rüstig, frisch und gelenkig wie ein Jüngling, stets in derselben durch nichts zu erschütternden gleichmäßigen ernst-heitern Stimmung, so zufrieden mit seinen Dienstboten und Tagelöhnern, wie sie es mit ihm sind, auch stets mit der Ernte zufrieden (denn, sagt er, ein tüchtiger Landwirt hat nie eine Mißernte; gerät die eine Frucht schlecht, so gerät dafür eine andre desto besser), Leiter eines landwirtschaftlichen, eines Vorschuß- und eines Schulzenvereins, Berater der Lnndräte der Kreise Neisse und Grottkau, von denen er selbst wiederum lernt, wie er auch von dem verstorbnen Landwirtschaftsminister Friedenthal, dem größten Grundbesitzer der beiden Kreise, mit dem er in engerm Verkehr stand, viel gelernt hat, ein guter Haushälter, aber die Kosten der Gastfreiheit und einer anständigen Geselligkeit nicht scheuend, hat er acht Söhne ausgestattet, ohne sein schönes Gut zu verkleinern, und von den angeblich schlechten Zeiten keine Erschütterung seiner Existenz verspürt. Gute Preise sind ihm natürlich lieber als schlechte, aber er erkennt offen an, daß die hohen Preise durch den kargen Ertrag und die niedrigen Preise durch reichlichen Ertrag so ziemlich ausgeglichen werden, und daß niedrige Preise im natürlichen Laufe der Dinge von selbst wieder bessern weichen; und dann: man muß ja nicht gerade verkaufen, wenn die Preise am allertiefsten stehen! Jetzt eben, sagte er mir im Oktober, habe ich meine vorjährige Ernte verkauft und dabei natürlich ein bedeutend besseres Geschäft gemacht, als wenn ich sie vorm Jahre
Grenzboten IV 1897 M