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Meyers Konversationslexikon
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Meyers Konversationslexikon

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der nur an sich selbst und die Erhaltung seines werten Leibes denkt, ans diesen anschaulichen, meist in den natürlichen Farben ausgeführten Tafeln, die über alle Körperzustände des normalen und des abnormen Menschen Auskunft geben, volle Befriedigung schöpfen wird, vorausgesetzt, daß er nicht ängstlich ist und nicht zur Hypochondrie neigt. Aus eiue Belehrung, die ihm die Hilfe des Arztes entbehrlich macht, darf er freilich nicht rechnen. Gerade die Artikel, die von den Krankheiten des Menschen handeln, sind so vorsichtig abgefaßt, daß anch der geringste Schein der Charlatanerie vermieden worden ist. Immer wird scharf die Grenze gezogen, wo die Selbsthilfe aufhört und die Hilfe des Arztes eingreifen muß.

Diese Grundsätze strenger Wissenschastlichleit, die allein die Grundlage der Zuverlässigkeit sein kann, sind auch bei der Zusammenstellung der Tafeln geltend geblieben, die einen Überblick über gewisse Entwicklungsreihen der drei Naturreiche, der Produkte der Handfertigkeit oder der Kunst geben. Es kann nicht das Ziel eines Kouversativnslcxikons sein, dnrch bunte, gefällige Bildertafeln ans die Sinne der Käufer zu wirken. Es soll nicht ein Bilderbuch sein, nicht deu Orbis piow8 ersetze», dessen kindliche Einfalt wir glücklich überwunden haben. Die Farbe braucht nur da cinzntreten, wo die Auschauuug fehlt. Daß ein Löwe ein gelbes Fell hat und ein Esel gran aussieht, braucht keinem Gebildeten mehr klar gemacht zu werden, der eiu Lexikou von siebzehn Bänden kauft. Wie sich aber die mannichfaltigen Blattpflanzen, die er beim Gärtner kauft und in seinem Zimmer pflegen will, nach Gestalt und Farbe nnterscheiden, wie die Orchideen, von denen er so viel liest und so wenig zu sehen bekommt, aus ihrem Stengel und auf ihrem Blätterbvden stehen, das will er wissen, und auf diese und viele andre Fragen, die sich sogar bis auf den geheimuisvolleu, unter dem NamenMimiery" bekannten Prozeß des Schutzes der Insekten und Pflanzen gegen feindliche Elemente erstrecken, giebt Meyers Lexikon gründlich Auskunft.

Diese Wissenschaften sind demnach so reichlich bedacht worden, daß vvrlänfig kein Bedürfnis nach mehr auftauchen wird. Das hat die Redaktion des Lexikons auch empfunden nnd schon in dieser Auflage den übrigen Abteilungen des mensch­lichen Wissens und des menschlichen Wissendrangs einen größcrn Raum cmgewieseu als früher. Mau hat, um ein bequemes Schlagwort zu finde«, für diese Ab­teilungen den SammelnamenGeisteswisscnschaften" erdacht; aber die Etikette deckt den Inhalt nur, wenn man den Begriff unendlich ausdehnt, und dcmn gehören die Natnrwissenschaft und die Jugenieurknnst auch dazu. Natürlich auch die Politik; uud es würde doch eiu sehr groteskes Schauspiel sein, wenn man Herrn Engen Richter oder Herrn Diederich Hahn oder Herrn Arthur Stadthagen als Vertreter der Geisteswissenschaften vorstellen wollte. Man wird also mit dem Begriffe Geisteswissenschast" sehr vorsichtig nmgehen und vor allem die Politik davou trennen müssen. Sie ist, wie die Pnrteiverhältnisse im deutschen Reiche jetzt sind, der schwierigste Teil iu dem Organismus eines Konversationslexikons, das seine Leser in allen Klassen nnd unter allen Parteien sncht, mit Ausnahme natürlich der Sozialdemokratie, die jedes von der Bourgeoisie ausgegcmgue Unternehmen blind­lings bekämpft, ohne daß sie jemals mit einem eignen litterarischen Unternehmen andre als lokale, Partikularistische Erfolge gehabt hätte. In politischen Dingen hat man früher dem Meyerschen Lexikon von einer Seite den Vorwurf gemacht, daß es zu liberal, von der andern Seite, daß es zu schwächlich liberal, d. h. natioual- liberal sei. Auch der neue» Auflage wird es an solchen Vorwürfen nicht fehlen, die übrigens niemandem erspart werden, der sich die Mühe giebt, über den Diugeu und den Parteien zu stehen und Licht und Schatten gleichmäßig zn verteilen. In