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John Brinckman
Geschichten betonte große strategische Gedanke, „in den Rücken zu fallen." Aber wie weiß Neuter im Gegensatz zu Brinckman diese Ungeheuerlichkeiten dichterisch zu verwerten! Er bringt sie uicht als selbständige Schnurren, sondern legt sie einer Person in den Mund, für die er durch den vorausgehenden Teil der Erzählung schon unsre ganze Teilnahme gewonnen hat. Am wichtigsten ist es aber, daß Peter Lorenz seine Geschichte als Thatsache mitteilt, während Onkel Herse nur in überschwänglichster Weise phantasirt und aus einer märchenhaft kühnen Voraussetzung mit abenteuerlicher Folgerichtigkeit alles mögliche ableitet. Er leidet dadurch keineswegs Einbuße, denn wir nehmen ihn ja uicht ernst und lachen nur über ihn; im Gegenteil, der Manu mit dem goldnen patriotischen Herzen und dem krausen Verstände wird uns fast noch lieber. Während also Brinckman, freilich mit großer Kunst, die ungeheuerliche Lügengeschichte eines Pseudomanen bloß nacherzählt, uns aber dessen Person eben des Stoffes wegen nicht näher zu rücken vermag, hat Reuter einen ganz ähnlichen Stoff zunächst in sich verarbeitet und ihn dann in einer neuen, von allen Anstößen gereinigten Form bei einer von seinen Personen verwertet, die wir schon liebgewonnen haben, und zu deren Charakter die anders gewandte Geschichte nun so vortrefflich paßt, daß unser Gefühl in keiner Weise verletzt wird. Hier zeigt sich der Unterschied von Talent und Genie.
Über den sogenannten historischen Roman und die historische Novelle kann man verschiedner Meinung sein. So viel Beifall aber auch diese moderne Dichtungsart in den weitesten Kreisen gefunden hat und bei sehr vielen noch immer findet: die strenge Kritik, die nur das Kunstwerk anerkennt, dürfte sich nur mit weuigen Novellen und noch wenigern Romanen einverstanden erklären. Wenn das aber schon für das Hochdeutsche gilt, das doch auf eine reiche litterarische Vergangenheit und auf einen durch lange Arbeit und große Meister trefflich ausgebildeten Stil blicken kann, um wieviel bedenklicher steht die Sache für das Niederdeutsche! Freilich haben sich die in Betracht kommenden plattdeutschen Dichter nicht allzuweit und meist nur bis in das verflossene Jahrhundert zurückgewagt; so Brinckman mit seinem „Uns' Herrgott up Reisen," einer Erzählung, die nur bedingungsweise hierher gehört, und die aus triftigen Gründen in die Auswahl auch nicht aufgenommen worden ist. Sie liegt nns in einer „neuen billigen" Ausgabe vor, die die Verlagsbuchhandlung bequem dadurch hergestellt hat, daß sie der alten ein neues Titelblatt gegeben und außerdem noch eine sehr lobende Rezension hinzugefügt hat.
Zweihundert Jahre nach der Bartholomäusnacht (also etwa um 1770) geht unser Herrgott wieder einmal auf Reisen, um zu sehen, wie es auf der Erde steht. In Frankreich kann ihm die wüste Hirschgartenwirtschaft natürlich nicht gefallen. In Holland riecht es ihm zu sehr nach Eidammer Käse, grüner Seife, Teer. Pech und andern wenig erfreulichen Dingen, aber das lustige Leben ans dem Eise behagt ihm; in Hannover hat er seine Freude an dem schönen lutherischen Kirchenliede und an einer Predigt des alten derben Sackmann (der freilich schon 1718 gestorben ist), in Hamburg dagegen mißfällt ihm ebenso sehr eine Kanzelrede des Hauptpastors Göze. Schließlich kommt er, in Gedanken verloren, nach Jütland, wo ihn die schreckliche Sprache verletzt und alsbald nach Deutschland zurücktreibt. Er nimmt sein Nachtquartier auf dem Möllner Kirchhof, und zwar auf dem Grabe Till Eulenspiegels. Dort hat er eine längere Auseinandersetzung mit dem Teufel, der ihm überall nachgeschlichen ist, aus Angst, Seelen zu verlieren. Im zweiten und wichtigsten Teile