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Auswärtige Politik
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Auswärtige Politik

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Wie weit wir Deutschen noch davon entfernt sind, es zu den Erfordere nissen der allgemeinen Bildung zu zählen, daß jemand einigermaßen in der auswärtigen Politik bewandert sei, davon kann man sich bei jeder Gelegenheit überzeugen. Es ist schon selten genug, daß eine verständige und fördernde Unterhaltung über innere Politik zustande kommt. Das wird durch die leidige Beschränktheit der Parteimeinungen verhindert. Sind nur Gleichgesinnte ver­sammelt, so hat man einander wenig mitzuteilen; es fehlt der Reiz des Meinungsaustausches. Sind Andersgesinnte zugegen, so scheut mau sich, in Streit zu geraten, da politische Gegensätze erfahrungsgemäß weit öfter ver­bitternd als anregend wirken. Welches Armutszeugnis wir dadurch unsrer Erziehung ausstellen, gestehen wir uns nur ungern ein. Man sollte nun glauben, um so willkommnere Gesprächsstoffe müßten die auswärtigen Fragen sein, die sich nicht an den Parteistandpunkt, sondern an das Nationalgefühl wenden. Statt dessen wissen wir alle, daß solche Themataanschneiden" das sicherste Mittel ist, die Unterhaltung in wenigen Minuten zum Einfrieren zu bringen. Im besten Fall ist einer unter den Anwesenden imstande, ein paar Bemerkungen zu machen, die sich anhören lassen. Der zweite, der es unter­nimmt, ihn zu ergänzen oder zu berichtigen, bringt sicher nur noch ganz un­gereimtes Zeug hervor, das den vorigen Redner veranlaßt, schleunigst zu ver­stummen, weil sich vor ihm ein gähnender Abgrund der Unwissenheit aufthut. Der geneigte Leser möge selbst entscheiden, ob diese Schilderung nur eiuer bos­haften Phantasie oder der Wirklichkeit entlehnt ist.

Wie es nicht anders sein kann, findet der niedrige Durchschnittsstand unsrer politischen Bildung einen weithin sichtbaren Ausdruck in unsern parlamen­tarischen Verhandlungen. Gegenwärtig ist es damit so bestellt, daß der preußische Landtag und der deutsche Reichstag zusammen nicht mehr als zwei oder drei Mitglieder aufweisen, die zur auswärtigen Politik das Wort ergreifen können, ohne sich bloßzustellen. Die Folge davon ist, daß die auswärtige« Angelegen­heiten aus dem Kreise der Veratungsgegenstände und selbst aus dem Kreise der Erwägungen beinahe verbannt sind. Und doch müßten sie nach ihrer Bedeutung für das Schicksal unsers Volkes im Mittelpunkt und Vordergrund aller politischen Erörterungen stehen. Dann erst würde es möglich sein, in unsern parlamentarischen Verhandlungen den starken Ton des Nationalgefühls und der Vaterlandsliebe beständig mitklingen zu lasfeu und das verzogne Kind einer vorlauten Fraktionspolitik in seine Schranken zurückzuweisen. Dann erst würde es einen festen Boden gebeu, auf dem alle einsichtsvollen Abgeordneten die nötige Unbefangenheit gegenüber den vorliegenden innern Fragen gewinnen könnten. Und damit würde in die deutschen Reichs- und Landtage der lebendige Geist gemeinsamer schaffeusfreudiger Arbeit zurückkehren. Ihn empfingen sie vor einem Menschenalter als ein Erbteil der großen Bewegung, die uns erhoben und geeinigt hatte, und durch mancherlei Stürme der Zeit vermochten