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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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andern Angehörigen znin Ausbrnch gekommen sein. Wenn aber Freytag nicht einmal imstande gewesen zu sein scheint, den Druck von Schriften, die er nicht zum Druck bestimmt hatte, zu verhindern: wie kann es uns wundern, daß insbe­sondre Briefe, also Schriftstücke, die der Verfasser aus der Haud gegeben hat, als herrenloses Gut angesehen werden! Ein Beispiel, dasangenagelt" zn werden verdient, hat der bekannte Musikschriststeller Eduard Hanslick in Wien gegeben. Nachdem er ei» an Indiskretionen reiches Buch über den Chirurgen Billroth, au­geblich ohne Genehmigung der Familie, veröffentlicht hat, ist er von Freunden nnd Verehrern des Komponisten Johannes Brcchmsgemahnt" worden, sich in ent­sprechender Weise über diesen Meister herzumachen. Mit welcher Bereitwilligkeit er dieser Mahnung gefolgt und welche Auffassung von Pietät für einen verstorbnen Freund ihm dabei zu Hilfe gekommen ist, geht gleich aus dem ersten seiner Johannes Brahms. Erinnerungen und Briefe" überschriebnen Aufsätze (in der Neuen Freien Presse) hervor. Ganz unbefangen wird da berichtet, daß Brahms eine tief begründete Abneigung gehabt habe, vertrauliche Mitteilungen über seine Persönlichen Angelegenheiten anch nur in mündlichem Verkehre zu machen,*) und welche Vorsicht er umso mehr bei schriftlichen Äußerungen beobachtet habe. Und als ob das noch nicht genügend wäre, wird aus einem Briefe des Musikers aus­drücklich die Stelle wiedergegeben:daß mir niemand einen schlechter» Gefallen thun kann, als wenn er Briefe von mir drucken läßt." Aber Brahms ist tot, auf ihn braucht daher keine Rücksicht mehr genommen zn werden, desto mehr auf die Neugier des Lesepöbels, der hinter alle Vorhänge, durch alle Schlüssellöcher gucken, vor allem das erspähen möchte, was ihn nichts angeht! Die Verteidiger der Schnüffelei und Klatscherei pflegen zu sageu, das Publikum habeein Recht," jede Äußerung bedeutender Menschen zn kennen. Das ist nicht wahr. Jeder Mensch und erst recht jeder bedeutende Mensch darf sein Geheimbuch führen, das ebenso wie das Geheimbuch des Kaufmanns von andern zu respektireu ist. Und das gilt von Künstlern uud Schriftstellern umso mehr, als in dem, was sie der Öffentlichkeit vorenthalten, Wohl nicht leicht die Schlüssel zum Verständnisse großer Begebenheiten uud Thaten zu finden wären, wie bei Staatsmännern. Uns kann und soll genügen, was Künstler und Schriftsteller geschaffen haben; erst in zweiter Linie stehen für uus als Publikum Beiträge zur Entstehungsgeschichte und zur Deutung. Solche Pflegen anch nnr von Gelehrten gesucht zu werden. Die große Menge aber verlangtEnthüllungen" über das Privatleben. Schwächen, Charakterfehler, An­gewohnheiten des Menschen interessiren sie in viel höherm Grade als Schöpfungen des Künstlers. Wie war der Mann in seinem hänslichen Leben und im engern Verkehr, war er vielleicht ein Raucher, ein Trinker, ein Schuldenmacher, unterhielt er Liebschaften, wie urteilte er vertraulich über Seinesgleichen: das sind dieinter­essanten" Dinge für Leute, die seine Bücher oder Bilder nsw. gewöhnlich nur oberflächlich, oft uur dem Namen nach kennen, für sie soll jedes Geheimnis ans Tageslicht gezerrt werden. Es ließe sich da anwenden, was einmal irgend ein Dichter in eine Autographeusammlung eingezeichnet hat:

Anstatt die Klnu uns zu begucken, Lest lieber, was wir ließen drucken.

Eine Musikschriftstellerin, die ihn um Nachrichten über sein Leben aushorchen wollte, hat er einmal köstlich ablausen lassen: er schickte sie zn einer andern Dame, die angeblich genau über sein Leben Bescheid müßte, die würde ihr alles, was sie missen wolle, mitteilen. AIs aber die Schriftstellerin zu der betreffenden Dnmc kam, hörte sie, daß diese nicht das Geringste über Brahms wußte. Er hatte sich nur einen Scherz gemacht, um die Fragcrin loszuwerden.