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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches 571

Die Eisenbahnnnfälle. So vft man in den letzten Wochen Zeitungen las, so oft konnte man auch Berichte über Eisenbahnunfälle, Erörterungen über deren Ursachen, sowie Ratschläge oder Vorwürfe für die Eisenbahnverwaltung finde». Die Unfälle sind außerordentlich bedauerlich, und natürlich mußalles gethan werden, was die Unfallgefahr auf den Eisenbahnen verhindern kann." Ihre Häufigkeit möchten wir uns zu einem großen Teil aus folgendem erklären. In den letzten Jahrzehnte» sind, um deu gewaltig entwickelten Eisenbahnbetrieb durch­zuführen und um deu fortwährend steigenden Forderungen größerer Schnelligkeit gerecht zu werden, zahlreiche mechanische Einrichtungen geschaffen worden. Es sei nur au die Blockstationen, Zentralen, gegenseitig von einander abhängigen Weichen- nnd Signalstellwerken mit meistj sehr verwickeltem Mechanismus erinnert. Diesen Einrichtungen liegt vor allem die Absicht zu Grnnde, den Eisenbahnbetrieb vou deu möglichen Schwächen der Arbeiter und Beamten soviel als nur irgend möglich unab­hängig zu machen. Sie setzen aber auch voraus, daß sie deu Borschriften ent­sprechend rein mechanisch bedient werden. Das läßt sich in der Regel bald lernen. Solange nun die Beamten und Arbeiter ihren Dienst in Ruhe und nach ihrer Gewohnheit verrichten können, wird alles gut gehen. Da kommt plötzlich an irgend einer Stelle «in Unfall vor. Die Zeitnngen bringen ergreifende Schilderungen. Bald trifft auch eine Verfügung oder Verordnung der vorgesetzten Stelle ein, die aus Anlaß dieses Falles wiederholt die größte Aufmerksamkeit und strenge Pflicht­erfüllungeinschärft." Die Leute werden unruhig oder gar ängstlich; wo sie jahrzehntelang einen Hebel des von ihnen zu bedienenden Mechanismus richtig gestellt haben, ohne nnr daran zu denken, daß sie etwas anders machen könnten, befällt sie jetzt im kritischen Augeublicke der Zweifel: Hast du den Hebel mich richtig umgelegt? nnd die Angst hat znr Folge, daß sie den Hebel auf die verkehrte Seite werfeu das Unglück ist fertig, die Zeitungen und die offizielle» Mit­teilungen berichten wieder von falscher Weichen- oder Signalstellnng, von Pflicht- Vergessenheit usw.

Ob einzelne der beklagenswerten Unfälle der letzten Zeit auf die preußische Sparsamkeit zurückzuführen sind, wird sich kaum feststellen lassen. Die in den letzten Jahren, namentlich auch von den Zeitnngen, die diese Gepflogenheit jetzt scharf verurteilen, oft gerühmte Sparsamkeit der preußischen Eisenbahnverwaltnng wird meist mit der Neuorganisation im Jahre 1395 in Verbindung gebracht, bei der es sich aber hauptsächlich mir darum handelte, eine Menge alter Zöpfe und Formalitäten zu beschueiden und das Schreibwerk zu vermindern. Die Spar­samkeit in dieser Beziehung verdient wohl zweifellos nnr Anerkennung; sie kann schwerlich mit den Betriebsunfälle» im Zusammenhange stehen.

Nach einem offiziösen Bericht der Nvrddentschcn Allgemeinen Zeitung werden die Unfälle zum Teil nnf Bosheitshcmdlnngen von Personen, die gar nicht am Eisen­bahnbetriebe beteiligt sind, zum Teil aber auch auf pflichtwidrige Nachlässigkeiten solcher Angestellten zurückzuführen sein, die sich bisher in deu ilmen übertragnen Leistungen' durchaus bewährt hatten. Zu diesen pflichtwidrigen Nachlässigkeiten würden auch die erwähnten Angstprodnkte gehören. Der preußische Eisenbahn­minister hat mm der Verfügung, durch die eine Untersuchuugskommissiou znr Fest­stellung der Unfallnrsachen usw. eingesetzt worden ist, eine weitere Verfügung folgen lassen, in der es heißt:In neuester Zeit sind bedauerlicherweise auf den preußischeu Staatsbahnen mehrfach zum Teil schwere Unfälle zu beklagen gewesen. Sie sind, soweit hat festgestellt werden können, meistenteils daranf zurückzuführen, daß die für die sichere Handhabung des Eisenbahnbetriebs bestehende» Vorschriften nicht