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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Was uns veranlaßt, diese alten Gedanken aufzufrischen, das ist der Streit der Handwerker mit dem Bunde der Landwirte. Zuerst brachte das Fachorgan der Dachdecker einen gescilznen Artikel gegen die Agrarier. Die Zeitschrift Der Land­wirt hatte die Landwirte in der Kunst des Dachdeckens unterwiesen und ihnen gezeigt, wie sie den Deckerlohn sparen könnten. Darauf antwortete das Dachdecker­blatt in einem Tone, den man aus folgeuden Anfangsätzeu ersehen mag:Daß der Bund der Landwirte oder wie sie auch heißen: die Agrarier, den »Bruder Hand­werker« vor Liebe fast umbringen, erscheint schon ans rein äußerlichen Gründen recht sonderbar. Da man aber weiß, daß es sich für Herrn von Ploetz und seine Kohlrabiritter lediglich um Stimmfang handelt, so lächelt man über ihr Liebes- werben. Zwar ist es gemein und widerlich, die gesetzliche Gewerbefreiheit in schnödester Weise gegen die Handwerker durch Einrichtung Vou Brvtfavriken, Schlächtereien usw. in demselben Zeitabschnitt selbst zu mißbrauchen, wv man usw." Bald darauf, am 26. und 27. Nngust, wurde in Dresden der dreizehnte allgemeine Vereinstag der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften abgehalten, der unter andern, beschloß, den Landwirten die Einrichtung von Müllerei- und Bäckerei- gcnossenschaften zu empfehlen. Das hat die Handwerker in dem Grade erbittert, daß sie in der Deutschen Hcmdwerkerzeitnng im heftigsten und gröbsten Tone eine Absage an den Bund der Landwirte losgelassen haben, die ja wohl jedermann in seiner Zeitung gelesen hat. Die Deutsche Tageszeitung, die sonst auch einen kräftigen Ton liebt, hat in diesem Fall aus leicht begreiflichen Gründen mild und versöhnend geantwortet uud hat erklärt, für das, was auf dem Genosscuschaftstage Vorgekommen sei, könne der Bund nicht verantwortlich gemacht werden; dieser Pflege grundsätzlich das Genossenschaftswesen nur innerhalb der Schranken, die ihm die Rücksicht auf die Rechte und das Wohl der übrigen Berufsstände zögen. Jede der beiden Parteien hat in einem Stücke gegen die andre Recht. Für die Ge- nossenschaftsbestrebnngen und den Genosseuschaftstag ist der Bund der Landwirte wirklich nicht verantwortlich zu machen, wenn auch viele Genossenschaftler zugleich Bündler sind, und umgekehrt. Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen hat ge­blüht, ehe der Bund gegründet wurde, und wir haben vom ersten Augenblick an den Bund unter andcrm darum für schädlich erklärt, weil er die Landwirte von der nützlichen Thätigkeit, zu der wir die genossenschaftliche rechnen, nur abziehen werde. Wenn der Bund, nachdem die agitatorische Kraft seiner großen Mittel erschöpft war, aus der Not eine Tugend gemacht und, um doch etwas Positives zu leisten, für die Ausbreitung des Genossenschaftswesens gewirkt hat, so ist das ein Verdienst, das er anfänglich gar nicht die Absicht gehabt hat zu erwerben. Wir sind weit entfernt davon, die Genossenschaften für ein Universalheilmittel aller sozialen Übel zu halten und von ihnen die Lösnng der Agrarfrage zu erwarten, und wir haben für die Übertreibungen und Phantastereien des Müllers Till aus Brück, der durch die Bäckereigeuossenschaften zum Brotmonopol strebt, nur ein Lächeln, aber wir halten die Genossenschaften für etwas sehr nützliches, wir frenen nns darüber, daß von den 15 000 eingetragnen Genossenschaften im Reiche zwei­undsiebzig Prozent aufs Land fallen, uud wenn die kleinen Sudelbäckereien, deren Besitzer von Lehrlingsausbeutnng leben, durch Genossenschaftsfabriken ersetzt werden, in denen es reinlich zugeht, uud wo die Arbeiter ihre Ordnung haben, so werden wir gerade diesem Teile des untergehenden Handwerks keine Thräne nachweinen. Aber darin haben die Handwerker recht dem Bunde der Landwirte zuzutrauen, daß er aus purer Großmut uud Gerechtigkeitsliebe iu der Genossenschaftsgründung zum Wohl andrer sich Schranken ziehen werde, das wäre eine unverzeihliche