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Litteratur
sich dabei immer auch des Mangels bewußt bleibein die großen, ausgearbeiteten, für alle Zeit giltigeu litterarischen Typen fehlen, und deshalb soll man den Bildungswert dieses ganzen Gebietes nicht überschätzen.
Neues über Goethe und Schiller. Wir erwähnen hier zunächst ein Lebensbild der Susanna von Klettenberg, der frommen Beraterin Goethes, von dem Frankfurter Pfarrer Hermann Dechent (Gotha, Perthes). Alles, was seit Lappcubergs Biographie über ihre Verhältnisse bekannt geworden ist, findet man darin verarbeitet, und davor ist der Text der „Bekenntnisse einer schönen Seele" gesetzt (nach der Hempelschcn Ausgabe). Aus S. 203 spricht die Fürstin von Büdingcu gleich nach dem Tode des Fräuleins von Klettenberg schmerzerfüllt von der unvergeßlichen Freundin uud „ihrer sehr fleißigen Korrespondenz mit mir Armen," wozn der Verfasser bemerkt: „Die Briefe der Fürstin an Susauua wurden auf dereu Bestimmung ihr später uneröffnet wieder zugestellt." Also hat sie Susanna nicht geleseu? uud dennoch der Fürstin geantwortet, denn diese besaß doch die „Korrespondenz." Bei der großen Sorgfalt, die in dem Buche deu unbedentendsten Dingen zugewandt wird, wuudert mau sich, diesen merkwürdigen Umstand wie etwas selbstverständliches abgethan zu seheu.
Goethe und das klassische Altertum von Franz Thalmayr, k, k. Gymnasialprofessor (Leipzig, G. Fock) ist ein fleißig gearbeitetes, wohlgemeintes Bnch, aber ohne jeden Spiritus. Es gab eiue Zeit, wo Philologen über das Verhältuis uusrer großen Dichter zum Altertum uachdeukeu uud zu ihrer Erklärung etwas beitragen konnten, was nur sie vermöge ihrer Kenntnis der antiken Litteratur zu geben vermochten. Aber diese Zeit ist längst vorbei, denn der Stoff ist festgelegt, umgrenzt und auch in die Tiefe so gut wie erforscht. Und da sich z. B. die Gymnasialphilvlogen alljährlich zwei- bis dreimal das Vergnügen machen, über die tragische Katharsis des Aristoteles aufs ueue mit einander zu turniren, so kaun jemand in einem Buche über Goethe nicht mehr davon handeln, als wäre er der erste, der es thnt, sondern er muß es entweder ganz lassen oder ganz anders machen, als es hier S. 174 geschehen ist. Das läßt sich aber beinahe auf jede Seite dieses Buches cmweuden. Sodann muß, wer uns jetzt noch ein Buch über Goethe schreibt, auch etwas besondres zn sagen haben, nicht bloß das, was alle wissen, und endlich muß er es iu einer schönen, edeln oder doch unterhaltenden und interessirenden Sprache zn thun verstehen, nicht wie der Gymnasialprofessor, der seine Primaner unterrichten will. Das gebildete deutsche Lesepublikum ist durch gute Bücher verwöhnt uud weiß nicht nur über Goethe, souderu auch über seiue Stelluug zum Altertum jetzt sehr viel besser Bescheid als damals, wo der Rektor Kannegießer die „Harzreise im Winter" in einem Schulprogramm kommentiren nnd sich damit noch eine huldvolle Dauksagung des immer sreuudlicheu Dichters verdienen konnte. Heute nach siebzig Jahren möchte wohl selbst der litteraturbeflissene Primaner, wenn er über Goethe liest, etwas weniger an seine Schullektiouen erinnert sein.
Karl Weitbrecht, dem wir schon ein anregendes Buch über den jungen Goethe verdanken (Diesseits von Weimar), bringt jetzt ein ebenso frisch ge- schriebncs: Schiller in seinen Dramen (Stuttgart, Frommcmn). Es gewinnt unsre Aufmerksamkeit gleich durch eiu bestimmt gestelltes Problem, ohne das die meisten vielleicht denken würden: was kann uns noch „Schiller in seinen Dramen" neues lehren? Er will zeigen, worin Schillers dramatische Kunst besteht, um deretwilleu er nicht nur der größte deutsche Dramatiker ist, sondern