Jeicmias Gotthelf
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Pfarrer, Pfarrersfrau, Pfarrerstochter, ein übereifriger Vikar, ein junger Arzt, der Vertreter der Humanität ohne Religion, werden die Hauptpersonen, und damit nimmt, so hübsch, ja bedeutend auch manche Einzelheiten noch sind, das Gefallen an dem Werke ab, zumal auch immer mehr au Stelle der Erzählung die Diskussion tritt. „Anne Bäbi Jowüger" hat denn von Gotthelfs Erzählungen auch wohl am wenigsten Glück gemacht, obwohl das Werk nach der Seite der Menschcndarstelluug hinter den andern nicht zurücksteht. Aber es enthält wie der „Schulmeister" vieles, was von außen hineingekommen und jetzt nur noch kulturgeschichtlich merkwürdig ist.
In den ersten vierziger Jahren gab Vitzius auch einen Kalender heraus, für den er manche kleinere Sachen schrieb, auch politisch-satirische. Da um diese Zeit das politische Lebeu der Schweiz sehr lebhaft wurde uud dcu Pfarrer von Lützelflüh für immer in seine Kreise zog nnd alle seine spätern Werke beeinflußte, so ist es hier wohl nm Platze, seine politische Stellung etwas näher zu betrachten. Sie hängt sehr eng mit seiner religiösen zusammen, über die man sich fast ans allen seinen Werken, namentlich aus „Anne Bäbi Jowäger" unterrichten kann. Viele von seinen Gegnern haben in ihm immer den „Pfaffen" gesehen, selbst Gottfried Keller redet von der pfäffischen und bösartigen Manier Gotthelfs, seiner frivolen und materialistischen Ader. Aber man kann solche Behauptungen gar nicht kräftig genug bekämpfen, sie beruhen auf einem vollständigen Verkennen der Eigenart des Mannes. Vitzius verleugnet allerdings den Geistlichen nie, aber seine theologische Weltanschauung, an und für sich gewiß ebenso berechtigt wie jede andre nnd auch nicht enger als andre, hat ihn. um die drastischen Ausdrücke zu wühlen, weder dumm noch schlecht gemacht, es ist nichts Pfäffisches in ihm. Sein Christentum ist ein Helles, weltfreudiges Christentum, aber freilich geistiger, nicht materialistischer Natur. Steht auch der Satz „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen" Gotthelf seinem praktischen Wesen gemäß an der Spitze der christlichen Lehre, er verlangt doch zuerst die vollständige Durchdringung des Lebens mit dem echten christlichen Geiste, der ihm ebenso weit von Mystik und Asketik wie von süßlichem Pietismus und seichtem Rationalismus entfernt ist. Will man seine Stellung innerhalb des Christentums näher bezeichnen, so könnte man etwa von einem „höhern Nationalismus" reden, der nicht rein verstandesgemäß ist, sondern Herz und Gemüt einschließt, und dieser Rationalismus ist ja wohl in der reformirten Kirche, der Bitzius angehört, immer herrschend gewesen, sodaß der Pfarrer dann wieder als orthodox erscheint, wie er denn auch die Notwendigkeit des Landeskirche stets betont hat. Aber alle diese Untersuchuugeu haben bei ihm im Grunde wenig Zweck; wie sein Biograph mit Recht sagt: die religiösen Parteibezeichnungen gelten ihm als ganz wertlos an sich, weil er einen ganz andern Maßstab anlegt. Sein Christentum ist ein natürliches Christentum, nicht aus dogmatischen Stndien nnd philosophischen