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Jeremias Gotthelf. 2
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Jeremias Gotthelf

vom Standpunkt nicht einer Köchin, aber einer Dirne betrachten würde, konnte er freilich nicht ahnen. Dirnen sind freilichinteressanter" als Köchinnen und, wie alles Extreme, auch leichter zu schildern.

Auf denUli" folgte eine ReiheBilder und Sagen aus der Schweiz," auf die ich später, bei den kleinen Erzählungen kommen will. Zugleich mit diesenSageu" wurde die große ErzählungGeld und Geist" veröffentlicht, eigentlich zwei leidlich gut verbundne Erzählungen, von denen die erste einen späten Ehezwist, der durch einen größern Geldverlust des Mannes entsteht, die zweite eine Liebesgeschichte behandelt. Das Ganze ist, wie Manuel richtig sagt,eiu Familicngemälde von tiefster Anlage," jedenfalls das reinste und poetischste" von Gotthelfs Büchern, wenn man das Zarte, Liebliche und Rührende vvr allem als Poesie ansehen will. Vor allem zeigt sich hier seine große psychologische Kunst, seine tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens, aber auch schon eine gewisse, später noch wachsende Neigung des Schriftstellers, auf Rührung hinzuarbeiten, die im Bunde mit seiner Lust am Predigen den künstlerischen Wert seiner Werke manchmal stark beeinträchtigt, ohne die aber der Mann nun einmal nicht denkbar ist. Dabei bietet aber auchGeld und Geist" wieder eine Reihe außerordentlich anziehender, von den frühern bei aller scheinbaren Ähnlichkeit doch grundverschiedner Charaktere, unter denen ich nur den Dorngrütbauern, die Verkörperung des bäurischen Eigennutzes, hervor­heben will. Der Schluß des Werkes ist ganz kurz abgebrochen, auch eine jetzt wohlbekannte naturalistische Eigenheit, die aber hier leicht zu ver­teidigen ist.

Das künstlerisch schwächste aller Werke Gotthelfs, aber stofflich wieder sehr reich, ist das 1843 und 1844 in zwei Bänden erschienene BuchWie Anne Bäbi Jowäger haushaltet, und wie es ihr mit dem Doktvrn geht," ein Werk, das dem Wunsch der damaligen bernischen Negierung seinen Ursprung verdankt, Vitzius möge einmal der Kurpfuscherei und dem medizinischen Volks­aberglauben zu Leibe gehen, aber wie alle Werke Gotthelfs nicht tendenziös geblieben, sondern zu wahrer Menschendarstellung durchgedrungen ist. Anne Bübi Jowäger selbst ist der Typus des Bauernweibes überhaupt und geradezu meisterlich durchgeführt.Sie steht mit ihrem ganzen tiefliegendeil Wesen, mit ihrem Eigensinn, mit der merkwürdigen Mischung von Härte und Gut-, mütigkeit, Verstand und Unverstand nnter seinen Bäuerinnen als einzige Figur da," sagt Manuel sicherlich, litterarisch gesehen, aber wer die Bauern kennt, wird gerade in dieser Gestalt den Typus (der allerdings in neuerer Zeit ver­ändert sein mag) nicht verkennen. Auch Anne Bäbis Mann ist sehr gelnngen, ebenso Jakob der Sohn, Sami der Knecht, Müdi die Magd, endlich Meieli, Jakobs Frau, die sich den lieblichen Frauengestalten Gotthelfs anschließt, in ihrer Armut und Verschämtheit wahrhaft rührend wirkt. Im zweiten Teil fpielt die Erzählung mehr und mehr vom Bauernhaus ins Pfarrhaus hinüber,