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Die Psychologie der Kinderstube
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Die Psychologie der Rinderstube

in denen sich seine Vorgänger ausgesprochen haben, wohnen in seinem Geiste, und die meisten ahmen lieber künstlich geschaffnes nach, als daß sie es aus sich neu zu schaffen suchen. Und da sollte jedes einzelne Kind die nene Dar- stcllungsfvrm aus sich finden? Komische Wissenschaft, diese Kinderpsychologie!

Weiter meint der Verfasser, die Kinder, uud zwar gauz allgemein, nicht nur die der Wildeu, gingen bei ihren Zeichnungen von dem nackten Körper aus, und weil sie die Kleidungsstücke nur unvollkommen charakterisiren, so sollen diese für sie nur nebensächliche Bedeutung haben. Charakterisiren sie denn aber die Körperteile vollkommner? Sie haben ja nur ein Schema, uud dafür geht doch wohl wenigstens in Europa das Kind von der bekleideten Menschengestalt aus. Der Verfasser belehrt uns, daS Kind werdeselbst wenn es von der natürlichen Gestalt abweiche und die Kleider versuche, dennoch seine ursprüngliche Achtung vor dem Körperbau zeigen." Diesen wunderbaren Satz belegt er mit zwei Beispielen und begeht dabei, wie man sich feierlich auszudrücken Pflegt, einen schweren methodischen Mißgriff. Ein zehnjähriger Knabe, der in seiner hier mitgeteilten Zeichnungtrotz der Bekleidung (Figur 41) die Glieder naiv durch ihre Hülle hindurch andeutet," ist, wenn er es naiv that, eine Art Kretin, wahrscheinlich aber ist er ein Schalk, ein alberner Spiel­hans gewesen, derkleine Knabe eines bekannten Anthropologen" jedoch, der darauf besteht, daß seine Mutter, die ihm eine Frau zeichnen will, deren Beine durch den Unterrvck nach oben hindurchführt, ist kein normales Paradigma, sondern eine Ausnahme von bedenklicher Frühreife. Vielleicht hat ihn auch der wissenschaftliche Vater, ohne es zu wollen, schonvorgebildet." Denn Kinder gehen von dem aus, was sie um sich haben, und kleine Kinder besserer Familien bekommen keine nackten Körper zu sehen, und ans ihren eignen achten sie nicht. So kann man mit viel größerm Rechte umgekehrt sagen, daß unter unserm Himmelsstrich für das Kind die Kleider den Mann machen. Aus meiner frühen Kindheit erinnere ich mich z. V. bestimmt, daß, als ich ein Paradies in prächtigen Zinnfiguren gescheukt bekommen hatte, mich daran längere Zeit ganz gewaltig störte, daß Evas Beine ebenso lang waren wie die Adams. Wie das positiv Hütte sein sollen bei der in einem Paradiese doch unumgänglichen Kleiderlosigkeit, darüber werde ich mir wahrscheinlich keine Rechenschaft gegeben haben, weil ich mich um die weibliche Anatomie nicht so ernstlich gekümmert hatte wie der kleine Mustermensch des Verfassers. Meine Unzufriedenheit hielt sich eben an das, was ich kannte, weil ich es unter­halb der Kleiderlinie zu sehen pflegte. Dieses Verhalten muß ich auch heute noch für natürlicher und infolge dessen mein Urteil für richtiger halten als das des Verfassers. Wäre ich als Negerkind in Zentralafrika auf die Welt gekommen, so würde ich mich besser in seine Methode finden.

Auf das Zeichnen der kleinen Kinder zu achten ist also für die Erkenntnis aller Kunstanfänge von Wichtigkeit, und die ganze Kinderpsychologie hat Wert