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Lazzaroni
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Lazzaroni

und Centesimi zu erbeuten. Für die Passagiere, die in der Nähe des Kar­thäuserklosters bei Florenz auf die Dampfbahn warten, sind in die Steinwand des Hohlweges Sitze hineingearbeitet. Eben will sich der Fremde niederlassen, als pfeilschnell aus der nahen Bretterbude ein freundlich lächelnder Lazzarone hervoreilt und dem Fremden ein Kissen auf den harten Sitz legt.

Aber diese milde Art der Erpressung wird von den Reisenden bald nicht mehr als Druck empfunden, weil ihre Originalität, ihre planmäßige Durch­arbeitung und oft einschmeichelnde Art versöhnt. Unangenehmer ist schon der verschmitzte Lazzarone, wie man ihn in den sizilischen Bergnestern findet, der den Fremden nasführt, Dienste verspricht, die er gar nicht leisten kann, in singirter Geschäftigkeit zwecklos hin und her läuft und, wenn man ihm Vor­würfe macht, den Schweiß von der Stirn wischt und Lohn für seine offenbare Arbeitsleistung fordert. Die gewaltsame Ausplünderung von Reisenden ist nur die letzte Folge jenes Ausbeutungsystems. Jene Briganten erscheinen dem niedern Volke als Helden, deren Unternehmungslust der Gewinn elender Centesimi nicht genügt. Aber die kräftigere moderne Regierung hat die Lust zu solchen Gewaltthaten schon nachdrücklich gedämpft, und das Volk selbst begreift mehr und mehr, daß es die Henne nicht schlachten darf, die ihm so brav Eier legt. Recht bezeichnend ist aber doch die komische Entrüstung, mit der die Betteljungen den Reisenden ihre Flüche nachsenden, wenn diese auf die Via Appia hinausfahren, ohne sich um ihre tadellosen Purzel­bäume zu kümmern. Bisweilen belehren auch nachgesandte Steine die Reisenden, daß sie durch ihre Sprödigkeit hier ein naivkomisches Nechtsgefühl verletzt haben. Durch seine Purzelbäume hat der Bursche eine Arbeit gethan, und die muß bezahlt werden. Daß sie die Fremden nicht verlangten und nicht wünschten, diese Erwägung liegt außerhalb seines Gefühlslebens. Nach seiner Anffassnng haben die Fremden durch ihr Verhalten ihre Daseinsberechtigung in Frage gestellt.

Häufiger noch als die durch Angebot irgend einer zweifelhaften Dienst­leistung verschleierte Bettelei drängt sich die offne Bettelei heran. Je nach den Umständen und nach Bedarf greift das niedere Volk zu dieser oder jeuer Form. Der Wanderer blickt von der Höhe bei den Trümmern der Villa des Tiberius auf die ganze vom Abendsonnenglanz erstrahlende Insel Capri und auf das blaue Meer. Ein rüstiges Weib, das auf dem Abhang Futter schnitt, bietet ihm eine unkenntlich gemachte Münze zum Verkauf. Sie hat sie natür­lich in den Ruinen der Tiberiusvilla gefunden. Lächelnd läßt sie sich belehren, daß die Münze ein modernes Zehncentesimistück ist. Natürlich hat sie sich geirrt und bettelt nun ohne weiteres um ein Almosen. Aber ihre Thränen über ihre Armut sind Krokodilsthränen. Denn sie hat vorher erzählt, daß sie Kuh und Kalb im Stalle hat. So läßt sie auch diese Maske fallen und verabschiedet sich mit der Bitte, trotz alledem ihr zehn Centesimi zu schenken,