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Litteratur
kennen lernen nnd durch die gute Meinung, die sie von ihm bekämen, an ihrem Glauben irre werdeu würden. Aber auch Luther durfte die geschichtliche Notwendigkeit des Papsttums, die ihm Berechtigung verleiht, nicht erkennen, sondern mußte zu der Überzeugung gelangen, daß es vom Tenfel gestiftet, und der Papst der Antichrist sei. Uud so führte ihn dcun die dogmatische Ansicht, die er sich bildete, auch iu Diugen von untergeordneter Bedeutung mitnnter irre. So z. B, verabscheute er den Ketzer Arins, der die Gottheit Christi leugnete, und hielt ebeu deswegen die Vater von Niena, die ihn verdammt haben, für wackere und fromme Männer. Nun hat sich aber dasselbe Konzilium auch für dcu Priesterzölibat ausgesprochen, was er natürlich mißbilligte. Wie half er sich da? Er meint, es seien ja auch „viel ungeschickter, falscher Bischvsfe unter dem frommen Haufen" gewesen, „wie Mäusemist unter dem Pfeffer," uud solche, namentlich „die Aricmer mit ihren Rotten," mochten wohl das Unheil angerichtet haben. Aber trotz dieser dogmatischeu Befangenheit enthalten seine Betrachtungen über kirchliche uud politische Vorgänge viele gesnude und zum Teil auch heule noch beachtenswerte Urteile. Übrigens hat es niemand deutlicher eingesehen und bitterer beklagt als er, in welchem Grade allerlei Vorurteile die geschichtliche Wahrheit verdunkeln. In einer Vorrede zu einem vergesseneu Buche (Galeatius Capellas Geschichte des Mailändischcn Krieges) schreibt er: „Es gehört dazu s^zur Geschichtsschrcibuug^ ein trefflicher Mauu, der eiu Löwcuherz habe, unerschrocken die Wahrheit zu schreiben. Denn daS mchrer Teil schreiben also, daß sie ihrer Zeit Laster oder Ünfall, den Herrn oder Frenuden zu willen, gern schweigen, oder aufs beste deuten, wiederumb geringe oder nichtige Tilgend allzu hoch ansmutzen, ans Gnnst ihres Vaterlandes, und Ungunst der Fremden, die Historie» schmücken oder sudeln, darnach sie jemand lieben oder feinden. Damit werden die Historien über die Maße verdächtig, und Gottes Werk schändlich verdunkelt." Unsrer besondern Empfehlung bedarf ein Buch nicht, das Luther» eiu Paar hundert Seiten laug reden läßt; bereitet doch jeder Satz aus Luthers Munde oder Feder Erquickung iu dieser ledernen Zeit des öden Geschwätzes, der konventionellen Phrase, der diplomatischen Redekünste und eines Partei- uud Geschäftsstils, den zusammenzubrauen sich Gewinnsucht, Verlogenheit, Hasenhcrzig- leit, Gedanken- nnd Geschmacklosigkeit vereinigt haben.
Tagebuch der Mnrin Bashkirtsefs. Übersetzung aus dem Französischen von Lothar Schmidt. Zwei Bände. VreSlau, Frnulcustein, >897
Maria Bashkirtscff war eine nicht unbeachtet gebliebne russische Malerin, die, erst 24 Jahre alt, 1884 in Paris an der Schwindsucht starb. Sie war eiu gauz ungewöhnlich vielseitig begabtes Mädchen, dazu vou eiuer Frühreife, wie sie uicht leicht vorkommt. Sie vereinigte männliche Eigenschaften, Mut, Körperstärke, kritisches Urteil mit vielumfassender, leidenschaftlicher weiblicher Empfindung, und sie tritt uns iu ihrem Tagebuche wirklich eutgegeu, wie eiu kleiucs Wunder der Schöpfung. Sie hat sich von früh an vorgenommen, alle ihre änßern und innern Erlebnisse rücksichtslos wahr, anch wenn es siir ihr Bild nicht vorteilhaft sein sollte, anfzuzeichnen, damit doch etwas von ihr übrig bleibe, wenn keine andre Leiftnng ihr ein Andenken bei der Nachwelt sichern sollte. Sie hat einen brennenden Dnrst nach Thaten und nach Auszeichnung. Aber er sollte iu ihrem kurzen, ruhelosen Leben nicht gestillt werden. Sie lebte seit ihrer Kindheit mit den weiblichen Angehörigen ihrer Familie in Nizza, Rom oder Paris, dazwischen besuchte sie den Vater auf seinen Gütern in Kleinrußlcmd, uud da sie auch Spauieu und Deutsch-