Beitrag 
Alte und neue Kunst in Berliner Museen
Seite
371
Einzelbild herunterladen
 

371

Freude am Schaffen verdirbt, und die jungen Revolutionäre arbeiten fchon zehn Jahre daran, daß, wie ihre Lobredner sagen, der gährende Most in ihren Schläuchen endlich zu trinkbarem Weine werde. Aber bis jetzt gährt der Most immer noch, und selbst die Weisesten unter den neuen Kelterern vermögen nicht zu sagen, wann sich der Most endlich abklären wird. Inzwischen darbt alles. Am meisten die Revolutionäre selbst, und nächst ihnen die Kunsthändler, die seit 1371 nach sieben fetten Jahre» sieben magre gehabt haben und jetzt schon wieder ans zwölf Jahre zurückblicken, von denen gerade das letzte so tranrig ausgefallen ist, daß man nach den Ursachen solcher Wirkungen fragt. Wir haben hier weder die geschäftlichen Interessen der Künstler noch die der Kunst­händler zu vertreten, wir übernehmen nur die Rolle des ehrlichen Maklers, der zwischen dem unpersönlichen Begriff Kunst und dem unpersönlichen Begriff Pnblikum vermittelt. Nach den Beobachtungen des Maklers nun, der mit voller Objektivität nur die Bewegungen eines Markts nach Angebot und Nach­frage festzustellen hat, stellt sich die Lage des Kunstmarkts jetzt so dar. Der radikale Bruch zwischen alter uud neuer Kuust hat sich auch in den Kreisen der Känfer vollzogen. Die reichen Leute, die früher Tausende für Bilder von Menzel, Knaus, A. und O. Achenbach, Vautier, Piloty, Defregger, Grützner, A. v. Werner, Karl Becker, E. v. Gebhardt usw. ausgegeben haben, erfahren jetzt durch die Mehrzahl der politischen Tagesblütter, auch durch die alten Kunstzeitschriften, auf die sie früher geschworen hatteu, daß der von ihnen crworbne Bilderkram ganz und gar nichts wert sei. Bisher war der Respekt dieser Revolutionäre, hinter denen ein leeres Nichts steht, wenigstens vor Menzel und Lenbach stehen geblieben. An Lenbach haben sie sich, trotz seiner vielfachen, nugriffsfähigen Schwächen, auch jetzt noch nicht hinangewagt, vielleicht weil sie wissen, daß Lenbach ein Mann ist, der nicht mit sich spaßen läßt, vielleicht anch, weil er jetzt als Präsident der Münchner Künstlergenosfenschaft aus strategischen Gründen geschont werden muß. Aber gegen den bisherigen roccksr cle drollig des norddeutschen Realismus, gegen Menzel, ist nun auch eine Mine gelegt worden, freilich nicht von einem der zum Umsturz geneigten Maler, sondern von einem Kunstbeamten, dem das Wohl der größten deutschen Sammlung deutscher Kunstwerke des neunzehnten Jahrhunderts anvertraut worden ist. Es ist Hugo von Tschudi, ein Österreicher schweizerischer Ab­stammung, der als Nachfolger Max Jordans Direktor der königlichen National­galerie in Berlin geworden ist. Seine Ernennung hatte allgemein überrascht; es waren einige Männer genannt worden, deren persönliche Kunstauschauung mit der des Kaisers nahe verwandt war, jedenfalls oft die Billigung des Kaisers gefunden hatte. Als dann die Sache anders kam, fand man sich schließlich mit dem Gedanken ab, daß der bisherige Direktorialassistent an der Gemäldegalerie im alten Museum ein unbeschriebnes Blatt wäre. Erst abwarten, dann urteilen! Lange haben wir nicht zu warten brauchen. Nachdem einige