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Dunkler Drang nach einein guten Rechtsweg
intelligibeln Charakter irgendeine Vorstellung zu verbinden. Das kayn aber nicht befriedigen, solche völlige Anschauungslosigkeit ist noch viel unverständlicher als eine logisch unerklärliche unmittelbare Anschauung. Schopenhauer hat deshalb auch den intelligibeln Charakter zu verdeutlichen gesucht. Nach ihm ist der Verbrecher durch den „empirischen Charakter" berechenbar und deshalb für seine That nicht verantwortlich; aber dafür soll er verantwortlich sein, daß sich sein empirischer Charakter zu einem verbrecherischen entwickelt hat, da er ihn bei der Freiheit seines intelligibeln Charakters anders hätte gestalten können. Bei dieser Theorie wird man zu der Frage gedrängt, ob denn der intclligible Charakter angeboren oder eine freie Willensthat des Menschen sei. Verantwortlich kann man doch für seinen intelligibeln Charakter nur dann sein, wenn er, der den empirischen Charakter bestimmt, wenigstens selbst auf einer freien Willensthat beruht. Deshalb bekennt sich auch Schopenhauer zu der Lehre, daß der intclligible Charakter sich selbst bestimme, und nennt ihn c-MSÄ sui. Schopenhauer ist dadurch mit andern Worten und unter Verschleierungen zu dem Problem zurückgekehrt, von dem der gesunde Menschenverstand von Anfang an ausgeht. Merkwürdig und unbegreiflich bleibt dabei noch immer, daß wir auf unsern empirischen Charakter nur, wie er sich cutwickelt hat, nicht aber wie er sich immerfort weiter entwickelt und sich im Einzelfalle erweist, einen zurechenbarcn Einfluß haben sollen. Von der unmittelbaren Anschauung der Willensfreiheit kann sich, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten, nur die mechanische Weltanschannng des Materialismus losmachen.
Auf dem letzten kriminalanthrvpologischen Kongreß in Genf Ende September 1896 wurde denn auch mit Begeisterung die Lehre verfochten, die den Verbrecher als unglückliches, krankes Geschöpf hinstellt, das durch Zusammenwirken seiner angebornen Veranlagung und bedauerlicher äußerer Verhältnisse mit Naturnotwendigkeit in die Bahn des Lasters gedrängt worden ist. Denen, die wenigstens ein bescheidnes Maß der Verantwortlichkeit des Verbrechers erhalten wissen wollten, wurde mit großem Geschick entgegnet, daß die Menschheit früher anch die Irren, als vom Teufel besessen, grausam behandelt habe, die unentwickelte Menschheit fühle eben eine Befriedigung darin, jedes Unglück auf ein Verschulden zurückzuführen, während es dem menschlichen Fortschritt vorbehalten sei, iu jeder anscheinenden Verschuldung die unglückliche Handlung eines des Mitleids würdigen Thäters zu finden.
Nach der mechanischen Weltanschauung giebt es keine Strafe, die verschuldet, keine Wohlthat, die verdient ist. Jede That, jede Unterlassung erscheint ihr notwendig wie das Schicksal, gleichsam wie das Verhängnis der Alten, dem sich auch die Götter fügen mußten. Das Fatum, das über den Göttern schwebte, soll den Menschen bei jeder einzelnen Handlung leiten. Da giebt es nichts zu loben, nichts zu tadelu, jedes Wollen und Thun ist und