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Midaskinder : wie Herr Viktor Narzissus Zangkel nicht dazu kam, sein erstes Buch zu schreiben
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Midaskinder

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Vertrieb beide stattliche» Fremdwörter ohne weiteres von dem Raume, den sie be­anspruchen wollten.Auch eiu Buch aus dem Leben" schien ihm sehr gut, deun er wollte ja Widerrede erheben gegeu die allverbreitete Meinung, als sei unr die Darstellung des Charakterlosen, Erbärmlichen und Nichtigen Darstellung des Lebens, aber als er merkte, daß mm der Name des Verfassers zu schreiben sei, kam die Erwägung, ob nicht bei der schlechten Übuug unsrer Tage, den zweiten Fall mit von zu bilden, ein gedankenloser Leser den Titel so verstehen würde i Midaskinder: auch eiu Buch aus dem Leben von Viktor Narzissus Zangkel, nud so blieb die letzte Entscheidung einer wahrhaft guten Stunde überlassen, und einstweilen lautete der Titel:

Midaskinder Von

Viktor Narzissus Zangkel

Und mm forderte das Frühstück sein Recht. Viktor aber hatte es immer ge­liebt, wahrend dessen etwas zu lesen, das nicht mit der Tagesarbeit zusammenhing, am liebste» etwas, das hoch über sie hiuanshob. Nun hatte er nach Haßlach absichtlich vo» seinein Büchervorrate nur weniges mitgenommen, damit ihn nichts von seinem eigentlichen Werke abziehe. So nahm er denn den Einkauf zur Hcmd, de» er am 31. Mai im Hinblick auf die Anfgabe, die ihn allein beschäftigte, bei den: alte» jüdischen Trödler Jakob Rothenberger gemacht hatte. Es galt ihm, die Erinnernngen nn die Sage von dem König Midas noch einmal aufzufrischen, um keine« Preis aber hätte er eine griechische Sagengeschichte oder eine neuere Über­setzung der Metamorphosen des Ovid zur Hand genommen, ihm schwebte, ein altes Buch ans dem vorigen Jahrhundert vor, in dem umständlich und anmutlos, aber mit einer gewisse» deutsche» und altfränkischen Treuherzigkeit diese alten asiatischen nud hellenische» Überlieferungen erzählt waren. Da hatte er einst als Knabe ge­lesen, wie dem Könige der Phryger, Midas, die sonderbare, unerhörte uud nach­mals nicht wieder verliehcue Gabe gewährt worden sei, daß sich ihm alles, was er nnschnnte, in lauteres Gold verwandeln mußte, das Reis am Baume, die Ähre im Felde, der Staub, der am Wege liegt, wie das Gras, das auf den lmut beblümten Wiesen wächst. Und es geschah ihm, wie er es begehrt hatte, und es geschah auch das, was er nicht begehrt hatte, de»» auch die Speise, die er znm Munde sichren wollte, und ohne die er nicht leben konnte, Brot und Fleisch, Früchte und Wein wurden zu Gold. Darüber hätte es leicht zu einem elenden Tode mit diesem König komme» können, wenn ihm nicht der Gott, der ihn so übel beschenkt hatte, den heilsame» Rat erteilt hätte, den er uicht schnell genug befolgen konnte, sich in dem Wafser des Flusses Paktvlns zu bade«; da ward er der zugleich glückhaften und uuholdeu Gabe ledig.

Schon der Knabe hatte einst vor dieser Sage gestutzt und ihr eine freund­liche Seite abgewönne» als einem tiefen Gedichte von Augen, die so wunder­bar blicken, daß sich ihnen die Welt in Gold verwandeln muß, während der finstern Seele alles unfreudig nnd düster erscheint; der Jüngling hatte sie be­harrlicher angesehen, nud sie war ihm auf einem .Gange, den er durch Flure» ging, die im Äbendgolde lagen, mit einemmale zu einer Quelle köstlicher und ganz unerwarteter Belehrung geworden, als sich ihm in seinem Siune, mehr geschenkt als selbstgeschnffen, das WortMidaskinder" eiufand nnd von ihm erst zögernd und halblaut, dauu laut und entzückt ausgesprochen worden war. Nun sah er sich um, zu Hause und iu der Universitätsstadt, unter Frommen, uuter Suchenden, Grmzboten II 1897 6