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Midaskinder : wie Herr Viktor Narzissus Zangkel nicht dazu kam, sein erstes Buch zu schreiben
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Midaskinder

ist besonders gelungen. Ein junger Künstler hat sich ganz Viktors Idee unter­ordnen können und hat eiu Haus gezeichnet, das ist so wunderbar traulich und heimlich versteckt, au Fels, Wald und Wasser so hiugelehnt, mit Erker, Türmchen und lustigem Rankenwerk so lockend geschmückt, daß es der Inschrift nicht bednrfte, die über dem Thürsturz steht:Haus zum Maguetberg" man sieht, wie alle edleren Anziehungskräfte von dem Innern dieses Hauses ausgehen müssen, für das alles das schöne Außen nur wie ein rufendes Echo ist. Dies Hans schwebt ihm als ein Montsalvatsch für die Helden vor, von denen sein Buch, sei» erstes Buch handeln wird.

Aber es ist noch nicht geschrieben, und das Titelblatt ist noch nicht gezeichnet.

Am 31. Mai jedoch hatte Viktor alle unerläßlichen Vorbedingungen erfüllt, er hatte sich gutes Papier gekauft, und wer ans dem Einkauf auf den Umfang des beabsichtigten Werkes geschlossen hatte, mußte auf ein sehr stattliches Buch rechnen. Das aber war nicht Viktors Absicht, eiu kleines, wirkungsvolles Buch sollte seinem Herzen entquellen. Hier mußte die Arbeit uun gelingen; in der Universitätsstadt kannten ihn zu viele und brachten Abhaltung, in Eudenburg kannte ihn jedermann, aber in Haßlach, soweit von der Heimat entfernt, kannte ihn außer der Wirtin und der Polizei niemand, und die Polizei kannte ihn nicht von Angesicht, uud was sie von ihm wußte, war uicht einmal ganz richtig. Viktor hätte sich die Hände reiben mögen vor Freude darüber, wie glücklich sich alle Vor­bedingungen hier für ihn erfüllten.

Zweites Kapitel Aber aller Anfang ist schwer

Am ersten Juni morgens um fünf Uhr sehte sich Viktor mit einem unbe­schreiblichen Frohgefnhl an seinen Schreibtisch. Alles war hier schön geordnet, auch Feldblumensträußchen, die er gestern am Rande der herrlichen Wiesen uud der reiche» Felder draußen gebrochen hatte, standen rechts nnd links von dein Tintenfasse und der Federschale. Nun galt es nur noch den Anfang zu finden, und es fand sich einer. Aber er entsprach doch nicht ganz der Überzeugung des jungen Schrift­stellers, daß es bei einem Bnche auf nichts so sehr ankomme, als wie der Verfasser seine Leser an der Schwelle empfange, uud wie er sie entlasse.

Nach kurzer Überlegung sagte er sich, daß er ja erst das Titelblatt schreiben könne, nnd da er immer wichtige Dinge, Aufschriften auf Briefen, Einschriften in Bücher und die Geschenkzettel des Weihnachtsfcstes, mit besondrer Sorgfalt ausge­führt hatte, so entwarf er das Titelblatt in mächtigen lateinischen Steinschriftbnch- staben, ließ auch ein paar Blattrnnken sich durch die stattlichen schwarzen Gebilde schlingen, auch eiu Vöglein ward da nnd dort auf eiue solche Nanle gesetzt, und so verging die Zeit, ohne daß er es merkte. Als zu seinem Erstaunenschon" Frau Schwendeli mit dem Frühstück eintrat, war eben das Titelblatt vollendet worden und lehnte sich zn rnhiger und erfreuender Prüfung an ein Blumeustöckcheu an, das die Vermieterin dem bescheidnen nnd höflichen Mieter zum Einstände hinge­stellt hatte; seiu Auge las mit Wohlgefallen:

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Ärgerlich war ihm, daß dann für den Nebentitel, den er doch für sehr nötig erachtete, noch die Lücke unausgefüllt war. Zuerst hatte er hinsetzen wollen:Sil­houetten uud Reflexionen," aber ein einziger Gedanke an seine schlichten Eltern