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Midaskinder : wie Herr Viktor Narzissus Zangkel nicht dazu kam, sein erstes Buch zu schreiben
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Midaskinder

und sagte: Da werde ich wohl schreiben müssen:Hochfürstlich Endenburgischer Hvf- gartenassistcnt, beabsichtigt hier zn schriftstellern." das letzte sagte sie mit Stolz.

Und so ward denn Viktor Narzissns Znngkel durch Frau Schwcndeli zum hvchfürstlich Endcnburgischen Hofgartenassistenten ernannt, ihm zum stillen Ergötzen, aber eine Ernennung, die die Polizei so ernst nahm, daß sie von ihr sorgfältig zum 29. Mai gebucht wurde.

Aber nur dieses; das, was Viktor nach Haßlnch nud in die Zotzelsgasse geführt hatte, ließ der Polizeivermerk aus dem Anmeldczettel der Fran Schwendeli als völligbelanglos" aus. Er aber wollte eiu Buch schreiben, sein Buch, seiu erstes Buch, es war die höchste Zeit, denn die zehn Jahre, die ihm das Schicksal als Frist gesetzt hatte, waren bald vorüber.

Viktor war ein bildhübscher Untersekundaner gewesen, er trng damals noch langes, gewelltes Haar, war fleißig und hilfsbereit, machte bereitwillig alle Streiche mit, die niemand schadeten und nicht geistlos waren, und fiel infolge einer frühen größern Ernsthaftigkeit und Unfähigkeit zu Ausflüchten gewöhnlich dabei hinein. Dann aber lachte er mit den Lachern. Das Thema des dentschen Aufsatzes für die Weihuachtsferien warenDie Gedanken des Odysseus" gewesen,ehe er in Scheria die Mittel zur Heimfahrt erbittet," und Viktor hatte seinem Odysseus ganz überschwäugliche Gedanken verliehen; ihn rührte das Schicksal einer Menschensecle, die heimverlangt. Während seine Kameraden einen Seefahrer sahen, der sich über­legt, ob er nicht besser in Scheria bei den Phäakeu bliebe, um zu werden als ihrer einer, vernahm Viktor die tiefen Rufe des immer und immer wieder Verstrickten und Gehemmten nach dem Jthaka seines Lebens und seiner Seele. Der Lehrer hatte den Anfsatz vorlesen lassen, denn trotz alles Ungriechischen in Gedanken und Ausdruck war die Sprache der Arbeit voll ursprünglicher Kraft nnd Biegsamkeit, aber ans die Mitschüler übte das Pathos des Odysseus natürlich mir eine komische Wirkung ans. Doch der Anfsatz ward zu Ende gelesen, und dann sprach der Lehrer das Wort, das ihm Viktor nie vergaß: Lacht nur, wenn er in zehn Iahren schreibt, dann lacht ihr nicht mehr!

Und nun eilte es. Es fehlten nnr noch wenige Monate, dann waren die zehn Jahre unwiderruflich abgelaufen, und war der erste August vorüber, und hatte er Viktor nene, schwere Pflichten übertragen, dann sah Viktor keine Möglichkeit, je wieder znm Schreiben zu gelangen.

Aber er war nicht bange. Zwei freie Monate lagen vor ihm. Er wußte, was er schreiben wollte. Es sollte ein wunderbares Buch von den fünf klugen Männern und Fraueu werden, wie er sie träumte, und wie er sie sah, beides im Lichte guter Tage. Deuu Nachtträume suchten ihn wenig auf, schon darum nicht, weil er mäßig und ein Manu rühriger Bewegung war. Seine Tagesträume aber wareu Bilder voll Schönheit, Ahnungen voll Bedeutung, und wenn er einmal im gewöhnlichen Sinne träumte, so knüpfte der Traum die Tngesgesichte mit seinen Jugendcrinnernngen zu einem unentwirrbaren Knoten zusammen.

Diese Erinnerungen führten ihn gern in den Schloßgarten in Endenbnrg. Der Garten zieht wie ein Gedicht, das Geschichte nnd Natur zusammen erlebt uud niedergeschrieben haben, in uralten Bänmen, dunkeln Alleen, in Resten von Wall nnd Schanzen, vor denen kein Feind mehr steht, und die nun der Epheu umklammert und dnrchranlt, vom Schlvßberg in das Thal hinab. Durch dies Gedicht rauschen die Wasser, die vom höhern Gebirge heruntereilen nnd nun hier in natürlichen Fällen unter Fnrnwedeln nnd Brombeergebüschen hinabspringen nnd nnter zierlichen, schmalen Brücken dahinschäumen.