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Gottfried Keller und seine Novellen
Werfen wir noch einen Rückblick auf seine Werke, insbesondre auf das, was die letzten Jahre hervorgebracht hatten.
Der Plan zum „Grünen Heinrich" geht bis in die Zeit zurück, wo der junge Maler enttäuscht aus München zurückkehrte. Aber der Vorsatz, „einen traurigen kleinen Roman zu schreiben über den tragischen Abbruch einer jungen Künstlerlaufbahn, an der Mutter und Sohn zu Grunde gingen," trat bald zurück. Das älteste erhaltene Bruchstück stammt aus dem Jahre 1846. Erst in Berlin wurden fünf Jahre auf die weitere Ausarbeitung verwandt; ebenso lange dauerte der Druck. 1855 war die Qual beendet. Was geschaffen war, war ein in den einzelnen Teilen wie im ganzen ungleiches Werk. Keiner erkannte das klarer als der Verfasser selbst. Deshalb trug er sich lange mit einer Erneuerung und Umarbeitung des Romans. Aber es stellten sich große äußere und innere Schwierigkeiten entgegen, noch in den siebziger Jahren, die erste Auflage war noch nicht ausverkauft, und „die Arbeit war nicht sowohl schwer als trübselig, mit offnen Augen in dem Unbedacht und der nicht zu verbessernden Unform eines längst entschwundnen Lebensalters herumbasteln zu müssen, anstatt sich dem neuen zuzuwenden." Im September 1880 war die Arbeit endlich fertig. 1884 erschien die dritte Auflage des dreibändigen Werkes.
Wie der „Grüne Heinrich" am Anfang seines Lebens steht, so bildet der Roman „Martin Salander" den Abschluß. Er erschien 1886 in der Deutschen Rundschau. Es war „das Bekenntnis des gereiften Mannes. Der Familienroman erweitert sich zu einem Stück Zeitgeschichte. In den Vorkommnissen eines engen Kreises spiegelt sich das Abbild allgemeiner Zustünde. Das große Thema ist die Volkserziehung und Volkswohlfahrt .... Gegen die Untreue der Beamten, gegen das Hvherhinaufwollen, das sich nach und nach auch der untersten Klassen bemächtigte, gegen die Genußsucht des Volkes, gegen das politische Gründertum, gegen den patriotischen Dünkel richtet sich der neue Kellersche Roman."")
Er erregte großes Befremden selbst bei unbedingten Verehrern Kellers. „In Zürich, in der Schweiz erschrak man oder empfand wenigstens Mißbehagen, je weiter man las. Man sah die Schwächen des öffentlichen und häuslichen Lebens mit unnachsichtiger Strenge bloßgelegt." Erst allmählich folgten besonnenere und anerkennende Urteile.
Die Lyrik begleitete den Dichter durch sein ganzes Leben. Daher spiegeln seine Gedichte die verschiednen Entwicklungsstufen seines Empfindens. Zu einem neuen Aufschwung, einer Nachblüte kam es Ende der siebziger Jahre. Später nahm er mit strenger Selbstkritik und Abklärung eine Sichtung und Sammlung der Gedichte vor, und 1883 erschienen sie in einem 500 Seiten
Baechtold III, 300,