Maßgebliches und Unmaßgebliches
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christlichen Verein angehören. Wir können deshalb die Versammlung nicht mit der Germania „imposant" finden und vermögen ans Brusts Versicherung nicht zn bauen, daß die Arbeiter des rheinisch-westfälischen Kohlengebiets srei von Streikgednnken und die gegenteiligen Berichte verschiedner Blätter falsch seien. Hat doch sogar Hardens Pluto, rein nur vom Finanzstandpunkte aus, die Lage für wenig geheuer erklärt. Mau frage sich, berichtet er unter andern?, wie lange der gegenwärtige Aufschwung dauern werde; manche hofften, er werde anhalten, weil die Kaufkraft der Arbeiter gestiegen sei, aber das sei ein Irrtum, da auch in den Industrien, die in der letzten Zeit bedeutende Gewinne abgeworfen hätten, nennenswerte Lohnsteigerungen nicht vorgekommen seien. Unter diesen Umständen seien die rheinischwestfälischen Großindustriellen auf einen Ausstand gefaßt und seien bereits mit den Arbeiterführern vorbeugend iu Verbindung getreten. Dieses letzte, der Vorbeuguugs- vcrsuch, wird von der Zeitung deutscher Berg- und Hüttenarbeiter, dem Organ des alten, sozialdemokratischeu Vereins, in Abrede gestellt.
Bildet Sorge neben der mühseligen Arbeit beim Bergmann so ziemlich den ganzen Lebensinhalt, so ist sie für den Börsenmann höchstens ein zuträgliches Zehrmittel, das die Marienbader Kur unterstützt. Wenn wir für die Börse gegen die Agrarier eintreten, so geschieht das nicht aus Haß gegen die Landwirte und aus Liebe zu den Händlern oder gar aus Mitleid mit ihnen — diese Herren werden sich unter allen Umständen zu helfen wissen —, sondern nur, weil wir die Wege, die die Landwirte zur Verbesserung ihrer Lage einschlagen, für verkehrt halten. Und so laffen wir uns denn auch nicht täuschen, wenn die Händler in ihren augenblicklichen Nöten die politische Maske vornehmen uud die Vereinigung aller Liberalen zu einem Kreuzznge gegen die Reaktion predigen. Dabei kann nichts herauskommen, könnte mich dann nichts herauskommen, wenn sich zum Händlerinteresse aufrichtige politische Begeisterung gesellte, denn der Liberalismus hat seine Rolle vorläufig ausgespielt. Es giebt zwei Hauptarten von Liberalismus.") Die eine besteht in der Gesinnung einer Aristokratie, die keinen Herrn über sich duldet, sich und das Volk regiert, für sich selbst ein hohes Maß persönlicher Freiheit in Anspruch nimmt, frei ist von philiströser Engherzigkeit in Sachen der Religion und Moral wie des Wirtschaftslebens und auch dem Volke Freiheiten gönnt, das alles jedoch nur unter der Voraussetzung, daß dieses Volk, die hcmdarbeiteude Masse, entweder durch das Gesetz oder durch Armut uud Unbildung der Möglichkeit beraubt ist, die Herrschaft und das Geuußleben der Vornehmen zu bedrohen. Das ist der Liberalismus der Republiken des Altertums uud der englische Liberalismus des vorigen Jahrhunderts. Die andre Art gründet sich auf die philosophische oder religiöse Überzeugung von der Gleichheit uud Gleichberechtigung aller Menschen; das ist der Liberalismus Ronssecms, der französische» Revolution, der deutschen Freiheitsdichter („Uud frei erklär ich alle meine Knechte!"), der Sozialisten und Kommunisten. So lange das deutsche Bürgertum den Monarchen und dem Adel halb oder ganz rechtlos gegenüberstand, hat es der zweiten Spielart des Liberalismus gehuldigt und sich der Massen für seine Zwecke bedient, womit jedoch nicht gesagt sein soll, daß das mit der bewußten Absicht geschehen sei, nach Erreichung des Zieles den unbequemen Bundesgenossen fallen zu lassen. Aber das machte sich ganz natürlich von selbst. Der eine Teil des Großbürgertums stellte sich nun unbefcmgeu auf den neu gewonnenen Standpunkt uud nahm, zur cmdern Art des Liberalismus übergehend, den eroberten politischen Einfluß als das selbstverständliche
Es ist notwendig, von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, das; das Gegenteil von liberal weder konservativ noch feudal, sondern servil und absolutistisch ist.