Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
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An demselben Abend fand auch in „Klcin-Pannewitz" große Versammlung statt. Dort wurde der Streit und die Versöhnung von Jochen Pampel und Michel Hmnpel „drastisch-dramatisch" dargestellt. Den Schluß bildete ein großes Verbrüderungsfest, bei dem Bier nur noch aus dem Stiefel getrunken wurde. Jochen Pampel, der eine Stiftung von vier Stiefeln gemacht hatte, wurde in Anbetracht seiner Tüchtigkeit zum uubesoldeteu Vizenachtwächter erwählt.
Während dessen hatte auch Herr Schlegel unerwarteten Besuch erhalten. Herr Lamprecht wollte sich nach Herrn Schlegels Neffen erkundige», Herr Baumgarten hatte gehört, daß Herr Schlegel einen Schafbock zu verkaufe» habe, und Herr Dnmbcck brachte Grüße von irgend einem Bekannten irgendwo her. Diese Herrn gehörten sämtlich der Sonnenseite an. Offenbar betrachtete man Herrn Schlegel seit der bewußten Wahl als Freuud und Zugehörigen. Bei jeder dieser Visiten kam natürlich die Rede auf deu Streit vom letzten Abend. Man verfuhr fehr diplomatisch. Man tippte nur leise an die bewußte Wunde, man schalt weder auf Springstucke, noch auf die Schattenseite, lobte dagegen desto mehr die besonnene Mäßigung Schlegels und stellte ihu als eiuen Mann dar, der in der Bürgerschaft lange nicht genug gewürdigt würde. Weun es nach den Leuten ginge, die ihn gerecht beurteilten, so würde Schlegel gewiß zum Stadtverorduetenvorsteher gewählt werden. Aber freilich müsse er selbständiger auftreten als bisher und für andre Leute nicht die Kastanien aus dem Feuer holen. Das war Zucker für den gekränkten Schlegel. Seine Selbstschätzuug wuchs iu erfreulicher Weise, in dem gleichen Maße aber auch seiu Zoru auf Springstucke.
Zuletzt kam Herr Lüdicke selbst, so schneidig und schnarrig, wie er es von den besten Vorbildern beim Regiment gelernt hatte. Denn er war ja nicht allein Leutnant, sondern sogar Premierleutnant von der Reserve und bei deu Koutroll- versnmmlnugen eine wichtige Persönlichkeit. Herr Lüdicke sprach die Erwartung aus, daß Herr Schlegel die Sache nicht ans sich sitzen lassen werde, was Herr Schlegel, dessen Grimm stündlich gewachsen war, lebhaft bestätigte. Hierauf fragte Herr Lüdicke: Haben Sie denn schon die nötigen Schritte gethan?
Heute schon? fragte Herr Schlegel, der an eine Injurienklage gedacht hatte.
Natürlich hente. Wenn Sie diesen Springstucke vor die Pistole fordern wollen, wie er es verdient, so muß das gleich geschehe». Ich stelle mich übrigens zur Verfügung. Ich werde die Sache gleich arrcmgiren.
Herr Schlegel konnte nicht hindern, daß sich sein Gesicht etwas in die Länge zog, weiter ließ er sich jedoch nichts merken, sondern erklärte, daß er über das Anerbieten von Herrn Lüdicke sehr erfreut sei, und daß er es dankbar annehme. Im stillen erwartete er, daß Springstncke eine Forderung natürlich ablehnen werde. Und wie groß stand er selbst dann da!
Noch am späten Abeud erschien Herr Lüdicke bei Herrn Springstucke, der eben in dem Bewußtsein seiues Edelmutes vom Ratskeller nach Hause gekommen war. Lüdicke trat ganz in der korrekten Haltung auf, die für diese Angelegenheit vorgeschrieben ist, er war ganz so kühl, zugeknöpft und unnahbar, wie er es beim Regiment gelernt hatte. Er machte Herrn Springstucke auf die unabwendbare» Folgen seiner Äußerungen aufmerksam und erfuhr zu seiuer größten Überraschung, daß die Sache schon zu Ende sei. Herr Spriugstucke habe so öffentlich, als die Beleidigung geschehen, seine Entschuldigung ausgesprochen. Dos müsse Herrn Schlegel genügen. Herr Lüdicke erwiderte, es sei Sache Schlegels, die Form der Entschuldigung zu bestimmen, die ihm genüge, nicht seine Sache. Er müsse jedoch anerkennen, daß sich durch die Erklärung Springstuckes die Lage geändert habe. Er müsse also mit