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Das schlimme llarlchen
zehn Jahre später, durch Liebigs Vermittlung, als Professor der Zoologie nach Gießen zurück. Das wäre nun sehr schön gewesen, und das „schlimme Karlchen" in dieser Stellung mit seinen noch nicht einnnddreißig Jahren ist sicher von vielen damals beneidet worden. Aber das Jahr 1848 stand vor der Thür. Das stellte auch Gießen auf den Kopf. Der sanfte Moriz Carriöre, damals Privatdozent der Philosophie, zog auf die Dörfer riugs umher und hielt Brandreden. Etwas Pathos war ihm von jeher Bedürfnis. Eine seiner Schriften betitelte er „Vom Geiste." Du hättest sagen sollen „von Sinnen," meinte dazu ein Freund. Karl Vogt nun verließ ebenfalls den Hörsaal und kommandirte die Bürgerwehr, in der seine ehemaligen Lehrer, auch Liebig, standen, ließ sich dann in das Vorparlament in Frankfurt wühlen und saß bald auch in der Nationalversammlung, und zwar auf der äußersten Linken. Hier hielt er seiue donnernden Reden mit den vielen nachmals berühmt ge- wordnen Pointen (z. B. dem so neutralen Standpunkte, „daß ich fast sagen möchte, es wäre gar kein Standpunkt"), goß seinen Zorn aus über alles, was Staat und Negierung hieß, vor allem über die Negierenden in seinem kleinen Lande, und zeichnete auf Blättchen die Karrikaturen seiner Kollegen, deren Schwächen und Mißerfolge er in Spitznamen und boshaften Bemerkungen äußerst zierlich auszudrücken wußte, z. B. „die Reichsthräne weint Blech" (Venedeh). Offenbar war Vogt eine der interessantesten Erscheinungen in diesem Kreise, berühmte Ausländer, die ihn hatten reden hören, berichteten davon noch nach Jahren in ihren Memoiren; er war Führer der Linken geworden und hatte einen außerordentlichen Einfluß gewonnen durch sein immer schlagfertiges, rücksichtsloses Mundwerk. Hier konnte er die Gabe gebrauchen, die unter allen, die er hatte, wohl die bedeutendste, und die jedenfalls ihm selbst die liebste war; „ihm ist sein schlechtester Witz lieber, als sein bester Freund," sagte Simson schon damals von ihm. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß diese Frankfurter Zeit der Höhepunkt seines Lebens gewesen ist. Hier war er ganz in seinem Element, später fehlte es ihm immer irgendwo.
Bald hatte die Herrlichkeit in Frankfurt ein Ende. Seit dem 6. Juni 1849 tagte das Rumpfparlament in Stuttgart, er selbst mit, in der Würde eines Reichsrcgenten. Vierzehn Tage später mußte er froh sein, mit zweien seiner hohen Standesgenossen ungefährdet aus der Stadt eutwischen zu köunen. Ob es dabei so martialisch hergegangen ist, wie er zu erzählen pflegte: er habe den wachthabenden Offizier angedvnuert mit den Worten „Platz für die Reichsregenten," worauf der Bestürzte schleunigst das Thor für den Wagen hätte öffnen lassen — das weiß man nicht so genau. Andre haben vielmehr eine Erinnerung, die sich ungefähr deckt mit dem bekannten Versschluß eines Vischerschen Liedes, wo es von einem Freunde Vogts heißt: nnr der Herwegh nicht, denn der versteckte sich unters Spritzenleder. Er aber muß das Andenken an die einstige Größe liebevoll gepflegt haben, denn er ließ sich später gern von seinen französischen Freunden brieflich „inon olisr Neichsregent" anreden, und noch in seiner