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Litteratur
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Litteratur

Volkstümliche und landschaftliche Erzählungen. Unser moderner Großstcidtroman kennt kaum noch Stammesunterschiede; man könnte seine Menschen ebensogut in eine beliebige andre Stadt setzen, als wo er zufälligerweise spielt. Damit das Treiben dieser Menschen nicht alle Farbe verliert, begiebt sich ja die Darstelluug möglichst tief nach unten, wo es denn doch wenigstens deutlich und derb hergeht. Wir halten es dem gegenüber für ein Glück, wenn die Schriftsteller noch ihre Kraft aus einem gesündern Boden gewinnen, und sehen jede Erzählung oder Novelle, in der die Art eines unsrer deutschen Stämme gut hervortritt, für eine wirkliche Bereicherung unsrer Litteratur an. Man bringt nicht nur ein paar Stunden mit Vergnügen hin, sondern man lernt auch beim Lesen, wenn man will; es ist, als ob man ans Reisen ginge.

Das mußten wir denken, als wir K. von Reinhardstöttners Vom Bayer­walde (Regensburg, Wunderling) gelesen hatten. Es sind sünf Erzählungen aus einer Landschaft mit einem Leben voller Urwüchsigkeit. Manches davon geht ver­loren, seit die Eisenbahn und die darauf zustrebenden Straßen mit jedem Jahre mehr Verkehr von außen hineinbringen, aber sehr viel ist noch immer davon vor­handen. Solche Eigentümlichkeiten in Sitte nnd Ausdrucksweise will der Verfasser sammeln in Form von Erzählungen, deren Elemente samt und sonders geschichtlich find. Dazwischen geht Belehrung her über die Kultur, aus der die Geschichten ruhen, und ihre Wandlungen von damals, wo ihre Menschen handelten, bis jetzt, wo der Verfasser zu uns spricht. Darunter kann leicht die Stimmung leiden, denn der Leser will gewöhnlich ein EntwederOder, und wenn er Geschichten liest, in die er sich ganz wie in etwas lebendiges versetzen soll, so will er nicht gern durch Betrachtungen über ihr Zustandekommen in dem Spiel seiner mitarbei­tenden Phantasie gestört werden. Darum erscheint uns die erste Geschichte aus dem dreißigjährigen Kriege weniger gelungen, als die folgenden aus unsrer eignen Zeit. Sie sind übrigens recht traurig, denn sie sind ja nicht erfunden; der Ver­fasser nahm sie, wie sie ihm kamen. Eine, die zufällig auch gut ausgeht,Der Blöcherlmüller," möchten wir für die beste halten. Interessant für den, der die Art dieser Leute kennen lernen möchte, sind sie alle. Ein andrer könnte freilich auch wohl denken: etwas zn wenig gedichtet und zu sehr gelehrt.

Eiu wirklicher Volksschriftsteller war, wie vielen bekannt ist, Heinrich Schaum- berger, der, erst einuuddreißig Jahre alt, 1874 iu Davos an der Schwindsucht starb. Viele wissen es aber nicht, uud deshalb freut es uns, daß die Verlags- hnndlung von Julius Zwißler in Wolfenbüttel eine besfere, illustrirte Ausgabe seiner Werke mit dem ersten BandeIm Hirtenhaus" eröffnet hat. Schaumbergers Geschichten spielen in dem südlichen, oberfränkischen Thüringen. Man glaubte ihm damals vor zwanzig Jahren eine Ehre zu erweisen, wenn man ihn mit Berthold Aucrbach verglich. Jetzt haben wir hoffentlich so viel Stilgefühl, daß wir sagen können, er sei ganz anders nnd stehe für jeden, der nach dem Echten in einer Kunst fragt, höher: etwa so wie edles, altes deutsches Steingut oder Hirschvogcl- majolika über Rvkokoporzellan mit Watteanfiguren geht oder doch von Rechts wegen gehen sollte. Wir haben auch oft grillenhafte Stunden, und unser kritisches Ge­schäft hält uns darauf gerichtet, nach Fehlern zu suchen. ImHirtenhaus" finden wir keine. So sind die Leute im Volk, und so thun sie uns auch mit ihren Un­arten nicht allzuweh. Mit andern Worten, des Schriftstellers Kunst ist die