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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Städter, cils die steuerkräftigern, einen Teil der Kosten der landwirtschaftlichen Ver­sicherung würden übernehmen müssen, denn so gehe das nicht länger weiter; in Ostpreußen hätten schon einzelne Gutsbesitzer bloß wegen der unerschwinglichen Lasten der Arbeiterversicheruug ihre Güter verkauft.

Wir haben die Großartigkeit uud Kühnheit des Bismarckschen Gedankens stets willig auerkaunt, und den Nörgeleien der Sozialdemokraten gegenüber sagen wir mit einem der Gegeuredner: ein unbelegtes Butterbrot ist doch immer besser als gar keius, denn Wie die Dinge nun einmal liegen, würden ohne die Zwangsver­sicherung viel tausend jetzt Rentenberechtigte gar nichts bekommen. Aber zu einer reinen Freude au der Einrichtung köuuen wir es nicht bringen, wenn wir auch nicht gerade die Schmerzen des Grasen Kcmitz mit empfinden. Wir finden an der Einrichtung bedenklich zunächst die Scheidung des Volkes in solche, die in allen Lebenslagen selbst für sich zu sorgen haben, und in solche, für die der Staat sorgt, von denen also der Gesetzgeber aussagt, daß sie als Angehörige eines gewissen Be- rufsstaudcs gar nicht in der Lage seien, selbst für sich zu sorgen, wodurch der Klassengegensatz, wie ihn die Sozinldemokratie vorläufig glücklicherweise noch nicht ganz der Wahrheit entsprechend aufstellt, gesetzlich beglaubigt wird. Dann finden wir bedenklich, daß die noch vorhandnen Reste bernfsstäudischer Gliederung vollends gesprengt, und der Schlossergesell z. B. nicht mehr als solidarisch mit seinem Meister verbunden betrachtet, sondern mit dem Zigarrenarbciter, dem Hafen­arbeiter uud allen übrigen Arbeitern zusammen der Gesamtheit der solidarisch ver- bundnen Unternehmer gegenübergestellt wird. Endlich beklagen wir die Größe, die Komplizirtheit und Kostspieligkeit der drei Znrüstungen, die besonders dann in die Augen fällt, wenn wir uns au die mittelalterlichen Korporationen erinnern. Eine solche sorgte für hilfsbedürftige Mitglieder, ohne daß es einer besondern Organisation für Krankheitsfälle, einer zweiten für das erwerbsunfähige Alter uud einer dritten für Betriebsunfälle bedurft hätte. Diese letzten waren freilich damals außerordentlich selten, aber sie sind es auch heute noch in manchen Versicherungs­pflichtigen Betrieben. An kleinern Orten uud in ländlichen Bezirken kommen Un­fälle bei Bauten so selten vor, daß die örtlichen Zimmerer-, Maurer-, Dachdecker­und Klempnerinnungen weit besser wegkommen würden, wenn sie nicht einer Ve- rnfsgeuosseuschaft angehörten, sondern ohne besondre Unfallvcrsicherungseinrichtungen jeden einzelnen Fall abmachten. Manche würden zwanzig, dreißig Jahre hindurch nicht einen Pfennig für diesen Zweck zn zahlen haben. Giebt es aber Betriebe, die so zahlreiche Unfälle mit sich bringen und die Arbeiter so rasch invalide macheu, daß sie an den Kosten ihrer Arbciterabnutzung zn Grunde gehen würden, wenn sie sie allein zu tragen hätten, nun so fühlt man sich versucht zu sprechen dann lasse man sie zu Gruude gehen; die Menschheit wird auch ohne dieGüter," die sie erzeugen, weiter bestehen.

Die Rückkehr zn ganz einfachen Formen der Fürsorge war eben bei der heutigen Menschenzahl, Freizügigkeit uud Produktiousorduuug nicht möglich. Aber das Verlangen nach Vereinfachung der bestehende» Einrichtungen, vor allem nach Zusammenlegung der drei Zweige der Zwaugsversichcruug, hat sich doch sehr leb­haft und allgemein geregt; von einem unsrer Mitarbeiter sind vorm Jahre in einem sehr sachkundigen Aufsatze (Nr. 32: Die schlechte Wirtschaft iu der Arbeiterversiche­ruug) drei Forderungen begründet worden: erstens die Zusammenlegung der drei Zweige, zweitens daß an die Stelle der rein bernfsgenossenschastlichen Organisation der Unfallversicherung die territoriale treten, und drittens daß die sogenannte Selbst­verwaltung durch sachgemäß vorgebildete Beamte eingeschränkt werden soll, die dem