Der juristische Zopf 7Z
der zwar ganz dieselbe Thätigkeit verrichtet, aber nur mit dem Einjährigenzeugnis zu prunken iu der Lage ist. Dieser durch und durch subalterne Geist, das Bedürfnis nach einer Beglaubigung des Anspruchs, auf der allgemeinen Stufenleiter eine Sprvsse höher zu stehen als andre Leute, dieser Geist übt seine verhängnisvolle Macht überall, auch uuter den Vertretern der höhern Berufsklassen.
Dieser übertriebne Sinn für die Standesrücksichten ist z. B. bei einer großen Menge von Ärzten der eigentliche Grund, weshalb sie die Zulassung der Realschulabiturienten zum medizinischen Stndinm bekämpfen. Ob diese Zulassung sachlich wünschenswert ist oder nicht, sei hier ganz dahingestellt; daß aber viele Ärzte sie nur deshalb ablehnen, weil sie nicht zugleich für die juristische Laufbahn gefordert wird und sie darnm eine Beeinträchtigung des Standesausehens gegenüber den Juristen fürchten, steht außer jedem Zweifel. Dieser Geist erfüllt den, der auf ein Uinversitätsstudium zurückblicken kann, mit einer bisweilen geradezu spaßhaft wirkenden Geringschätzung der auf der technischen Hochschule zu erwerbenden Bildung, dieser Geist äußert sich auch in der Überhebnng, mit der sich die Juristen von vornherein für die gebornen Dirigenten aller fachtechnischen Nessorts ansehen.
Dieser Geist ist aber ein Unglück für unser öffentliches Leben, und ihn zu bekämpfen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart. Allerdings wird viel dazu gehören, ihn auszutreibeu; eines der wichtigsten Mittel, vielleicht das wichtigste wäre eine zeitgemäße Schulreform, die es eiuem jeden ermöglichte, von vornherein die für seine Anlagen geeignetste Bildungscmstalt anf- zusucheu. Demi das Großwerden auf einer Schule, für die die persönliche Anlage nun einmal nicht vorhanden ist, hilft mehr als alles andre, den äußerlichen Standeshochmut zu züchten, mit dem man den Mangel der innern Tüchtigkeit zu verdecken sucht.
Freilich, mit einer vernünftigen Schulreform hat es gute Wege; darum soll man auch andre Mittel nicht verschmähen. Eines der besten wäre es, von der Tradition abzugehen, daß die leitenden Stellen in allen Ressorts den Juristen zukommen, für alle Talente die freie Bahn zu eröffnen. Eine Fülle tüchtiger Kräfte liegt bei uns brach, weil ihnen der amtliche Stempel für ihre Verwendbarkeit fehlt; es gilt diese Kräfte da zu verwenden, wo sie dem Gemeinwohl den größten Nutzen stiften können. '
Den Vorteil von der Durchbrechung des Jnristenvrivilegiums hätte unser ganzes Staatsleben, in dem zur Zeit die Mittelmäßigkeit dvminirt. Wie selten sind in den leitenden Stellungen Männer von schöpferischen Ideen, Männer, die den Zng der Zeit erkennen und raschen Blicks die Mittel herauszufinden wissen, die ihr Nessort den Zeitforderungen anzupassen geeignet sind. Diese Männer sind so selten, daß ihr Auftreten jedesmal ein allgemeines Staunen hervorruft. Ein Minister, der mehr als ein bloßer Geschüftsminister ist, ein Grenzboten I >8!)7 10