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Innere Politik oder äußere?
Menschen brotlos. Die Folge einer Revolution kann niemals das Glück der Ärmsten, sondern nur Hunger und Elend sein. Die Sozialisten sagen: Das wirtschaftliche System von heute, das auf dem engen Boden Deutschlands fünfzig Millionen Menschen ernährt, ist plump, unsicher, fehlerhaft. Mag sein. Aber wenn es verbessert werden soll, so kann das nur durch anhaltende, mühevolle Kulturarbeit geschehen, nicht durch eine Revolution. So denken wir.
Noch ein zweites Wort ist es, das die sozialdemokratischen Köpfe heiß macht: das Wort „Kapitalismus," oder, schärfer zu bestimmen, was gemeint ist: Privatkapital. Auch dieses Wort sollte eine Losung sein, die jene alten Sozialdemokraten und uns scheidet wie zwei feindliche Heere. Aber es will uns scheinen, als ob viele von uns Jungen nicht ganz frei wären von jenem echt sozialdemokratischen Haß gegen das Privatkapital. Von solchen wird der Großbesitzer abgemalt als ein verstockter Sünder, der zwar die Macht hätte, allen Menschen zur Glückseligkeit zu verhelfen, aber aus Bosheit vorzieht, alle im Elend zu halten. Es wäre ein Unglück für das deutsche Volk, wenn die Führer der neuesten sozialen Bewegung blind würden gegen die Grenzen des Möglichen und wie die Sozialdemokraten mehr versprächen, als sie halten können. Wer sich zum Volkstribunen macht, der muß genau das Gefühl der Verantwortlichkeit für die Erfüllbarkeit seiner Versprechungen haben, wie ein Minister auch, sonst gehört er nicht unter die Negierer, sondern unter die Verführer des Volks. Will die neue Partei ebenso wie die alte ihre Kessel mit dem Neid uud der Begehrlichkeit der Kleinen heizen, so werden ihr freilich die Kohlen nicht ausgehen, aber sie wird eine wilde Fahrt machen.
Da nun alle Tage reichlich von Sozialisten aller Art gegen das Privatkapital geschrieben wird und ihm seine Sünden vorgehalten werden, so wollen wir einmal von unserm Standpunkt aus für das Privatkapital schreiben und sowohl seine Verdienste als auch seine Ohnmacht dagegen halten. Von unserm Standpunkt aus; das soll heißen: von dem Standpunkte des wissenschaftlichen Sozialismus aus, der fagt: Bloß die Arbeit ist es, die Werte schafft. Aber sie erhält nur einen kleinen Teil des Geschaffnen, sagen die Gegner, das übrige zahlt sie als Tribut an die, die durch allerlei Nechtstitel im Besitze der Arbeitsmittel oder, allgemeiner gesprochen, der Arbeitsgelegenheit sind. Zugegeben, aber nun kommt der Sprung aus der Wissenschaft in die Politik, aus den Thatsachen in die Utopie. Der Agitator fährt fort: Wenn dieser Tribut nicht wäre, so brauchtet ihr nicht so furchtbar zu arbeiten, ihr brauchtet nicht zu hungern, ihr würdet nicht krank werden, ihr könntet eure Kinder ehrlich erziehen, euer Elend wäre vorbei. Liegt es nicht nahe, erst einmal die Höhe jenes Tributs an die Kapitalisten zu überschlagen, ehe man es unternimmt, daraus die Kosten der allgemeinen Glückseligkeit zu bestreikn?
In der „Zeit," dem Organ der neuesten sozialistischen Bewegung, lesen wir: 75 Prozent aller erwerbsfähigen Deutschen haben ein Einkommen unter