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Die Kompetenzerweiterung der Amtsgerichte und die Reichsanwaltschaft
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Die Aompetenzeriveitcrmig der Amtsgerichte

stunden aufzusuchen; dieser zur Zeit der allgemeinen Gerichtsordnung allenfalls erträgliche Gebrauch werde durch maunichfacheAssoziationen" der Anwälte gänzlich umgestaltet werden. Der Anwalt werde sein, was er in England sei, der juristische Beichtvater seines Klienten, mit allen seinen Verhältnissen voll­kommen vertraut, in alle seine Geheimnisse eingeweiht, mit Auskunft und Rat jederzeit zur Haud. Der Geschäftsmann werde die Kosten des Anwalts ein für allemal als Teil der Geschäfts- und Vermögensverwaltungskosten be­trachten. Dieser Bedeutung der Anwaltsthätigkeit auf dem Gebiete des Privat­rechts werde feine Bethätigung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts eben­bürtig gegenüberstehen. Der beklagenswerte Zustand werde aufhören, daß Landratsschreiber, Privatsekretäre, Kvnzipienten und Schulmeister die Anwalt­schaft unsers öffentlichen Rechts bildeten. Das obrigkeitliche Amt werde in der freien Advokatur eine ebenbürtige Konkurrenz finden, die die Gesetzmäßigkeit seiner Handlungen im Ernst zu kontrolliren vermöge; die Selbstverwaltung aber werde ihr Rückgrat darin finden, daß ihr, wie in England, mehrere tausend Rechtsauwälte als beratende nnd ausführende Orgaue zugesellt seien.

Nichts vou alledem, was Gneist damals vorausgesagt hat, ist eingetroffen, wohl aber überall das Gegenteil. Sowohl auf dem Gebiete des privaten wie des öffentlichen Rechts tritt immer mehr das Bestreben hervor, auszukommen, ohne daß man juristische Verufskenntnisse in Anspruch nimmt. Auf dem Ge­biete des Privatrechts werden gewerbliche Streitigkeiten, meistens allerdings geringfügiger Natur, uicht selten aber auch Streitigkeiten, die viele tausend Mark betreffen, von Laicngerichten unter ausdrücklichem Ausschluß rechts­kundiger Parteivertrctuug entschieden. Das Verlangen nach Schiedsgerichten, die von Laien besetzt sind, tritt immer mehr hervor. Die Gesetzgebung neigt immer mehr dazu, für neu geordnete Materien den Rechtsweg zn verschließen. Von Gemeinden oder uuter deren Schntz und Beihilfe werdenVolksbüreaus" errichtet, in denen gegen billiges Entgelt rcchtsverständiger Rat erteilt wird, natürlich von Nichtjuristeu. Auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts nimmt die gesamte soziale Gesetzgebung die Hilfe der Juristen nur in geringfügigem Maße, rechtskundige Vertretung aber so gut wie gar uicht in Anspruch. Die Wogen der modernen gewerblichen nnd sozialen Entwicklung sind so sehr seit­wärts von dem Felde der Berufsthätigkeit des Anwalts dahingcrollt, daß aus Mangel an praktischer Bethätigung der Anwalt geradezu in Verlegenheit gerät, wenn er über Fragen der Gewerbeordnung oder der Altersversicherung Aus­kunft geben soll. Daß im übrige» das Winkelkonsnlententum so üppig ins Kraut geschossen ist, wie nie vorher, bedarf wohl keiner Erwähnung; es ist allmählich dahin gekommen, daß der Nechtsanwalt einen großen Teil seiner Mandate aus zweiter Hand empfangt, ganz gewiß nicht zum Vorteil feiner Klienten, mit denen ihn kein Vertrauensverhältnis mehr verbindet.

Wenn die Erwartungen, die mit Gneist damals Tausende hegten, gerade