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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Schätzung des politischen Wertes der Bildung. Der italienische Sozialist Loria hat den Satz aufgestellt, daß das Kapital so lange herrschen werde, als es imstande sei, die iu seinem Dienste arbeitende Intelligenz zu bezahlen. Un­bewußt oder bewnßt handelt das Kapital wohl überall nach diesem Grundsatze; werden doch Werkleiter, Güterdirektoren uud Ingenieure durch so glänzende Be­soldungen und Tantiemen an die. Sache ihrer Brotherren gefesselt, daß ihr Abfall zur Sozialdemokratie nimmermehr zu befürchten ist. In sehr industriellen Gegenden Prenßens sind die königlichen Beamten genötigt, sich gesellschaftlich streng von deu Gruben- uud Hütteubeamten abzuschließen, weil sie sich durch die Teilnahme an deren kostspieliger Geselligkeit ruiuiren würden. Schon aus dieser eiuen Thatsache geht hervor, daß die Intelligenz, die der Staat verwendet, nicht in gleichem Maße geschätzt wird, und zwar von denselben Personen geschätzt wird, denn in den Land­tagen wenigstens sind doch Großindustrielle, Großgrundbesitzer und deren Verbündete unsre Gesetzgeber. Am allerniedrigsten aber wird die Intelligenz der Volksbildner geschätzt; die höheru sollen ja uuu den übrigen akademisch gebildeten Ständen gleich­gestellt werden, dagegen will mau das Einkommen der Volksschullehrer auf 900 bis 1620 Mark erhöhen. Um diese Zahlen zu würdigen, mnß.man bedenken, daß vor vierzig Jahren die Volksschullehrer ungefähr deu Mtuareu gleichstanden: hei.^bei.den betrug das Normalgehalt vierhundert Thaler; heute haben die Gerichts­sekretäre, wie sie jetzt heißen, tausend Thaler und Wohnungsentschädigung. Mit den Lehrern stehen hente die Heizer und Weichensteller in gleichem Range, nni> auch nach der ihnen zugedachten Gehaltserhöhung werden sie noch hinter den Haus­inspektoren, Maschinisten und Bauaufsehern zurückbleiben. Vor vierzig, auch noch vor dreißig Jahren betrug der Normalgehalt der Volksschnllehrer die Hälfte des Gehaltes der Oberlehrer an Gymnasien, diese hatten achthundert Thaler; der ver­besserte Volksschullehrergchalt wird den vierten Teil des verbesserten Gymnasial­lehrergehaltes betragen. Ein so weiter Abstand ist nicht gerechtfertigt. Gewiß muß der Gymnasiallehrer mehr erhalten, weil seine Ausbildung länger dauert und kostspieliger ist, und weil , er einer höhern sozialen Schicht angehört (wie man heute läppischerweise sagt statt: einem höhern Stande), nnd es' soll hier nicht etwa gesagt werden, daß die Gymnasiallehrer zn hohen Gehalt bezögen. Aber der Unterschied in der Schwierigkeit der Leistung ist nicht so groß; genau besehen, ist die Aufgabe des Volksschullehrers sogar weit schwieriger als die des Gymnasial­lehrers, denn er hat meistens viel stärkere, stellenweise ungeheuerlich überfüllte Klassen, er hat in einklassigen Schulen gleichzeitig acht Jahrgänge, also änßerst verschiedene Altersstufen zu unterrichten, uud endlich ist es sehr viel leichter. Pri­manern den Sophokles zu erklären, als kleinen Kindern den Satzbau, das Ein­maleins und den Katechismus beizubringen. Auch am Gymnasium wird der Unterricht vou unten nach oben immer leichter. Am allerleichtesten, weil gar kein Unterricht mehr, ist der Vvrtrag des Universitätsprvfessors. Um eiuen solchen halten zu können, braucht man sich bloß aus Bllcheru die erforderlichen Kenntnisse anzueignen, und das kann jeder mittelmäßig begabte Meusch. Dagegen um Kinder erfolgreich unterrichten zu können, muß man pädagogischen Takt, Sinn für praktische Psychologie uud Liebe zu den Kindern haben, und das hat nicht jeder. Außerdem ist es eine pferdemäßige Anstrengung, hundert kleine Kinder zu uuterrichtcu und dabei iu Ordnung zn halten. Miqnel hat ganz recht, wenn er fürchtet, daß eine