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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

grvße Zeiten gehabt haben; den Leuten konnte das Gelüste kommen, noch mehr große Zeiten haben zu »vollen mit allerhand ärgerlichen Geschäftsstörnngcn und uferlosen Eseleien. Wer will es denn anders haben, als es ist? Wir nicht, wir sind zufrieden, und auch unsre Zeitgenossen, die Sozialdemokraten, wollen weder Militarismus noch Uottenduselei, und auf Sedan spucken sie. Will das Volk aber selbst keinen Festtag, so brauche» die Beamte», Kommis usw. auch keinen; jeder Werkeltag ist viel wert für das Gemeinwohl. Es wäre thöricht vom Himmel ge­wesen, sich in Unkosten zu stürzen uud heiter dreinzusehe». Er hatte ganz Recht, es regnen zu lassen, wie es regneu wollte, sogar am Sedantag, wo es soust doch uicht feiue Art war.

Gester» war es anders. Ich bin doch stolz, ein alter Nikolaitaner zn sein, wenn auch die alte Nikolaitana nicht sonderlich Grund hat, stolz auf mich zu sein. Aber damals verstand sie es auch nicht, Feste zu feiern. Jetzt hat sich neue Rinde an dem alten Stamme gebildet, und er schlägt frisch uud grü» unch allen Seite» ans.

Der Tag war auch verschleiert, aber die Sonne brach durch, als das junge Volk iu Zügeu heranmarschicrt kam in die alte Nachbarstadt Tauchn, die einst mit dem Leipzig iu Windeln gewetteifcrt hat uud heute deu Ruhm hatte, die einzige wirkliche Sedanfeier Leipzigs, wie sie das Volk gern hätte, in seinem Bannkreis zu sehen. Die Kleinen, die Sextaner, Quiutauer, Quartaner uud Tertiauer, waren mit uus dazugehörigen Lehrern und Eltern mit der Eisenbah» hmmis- gefahre» und zogen, Musik uud Fahue vorn», durch die aufhorchenden Gassen von Tcmcha, um dort auf den: Markte das eben geweihte Siegesdenkmnl zu umringeu und der kleinen patriotischen Stadt ein fröhliches Hoch auszubringen. Die Großen kamen klassenwcise zu Fuß aumarschiert, immer so, daß die neue Schar gerade ankam, wenu die vorher gekommne'mit ihrem Kaffee iu dem großen Schützcn- haussaale fertig war. Feiner Aufmarsch! Und die Sonne sah auf ein fröhliches Gewühl auf der Schützenwiese herab, als nu», vo» lustiger Musik begleitet, die Wettspiele begannen, deueu ein ganz wunderhübsches Freiübungenmanvver der Kleinen vorausgegange» war, nnd, immer die Klassen für sich, abwechselnd, vo» den ungebäudigten Sextaner» hinauf bis zu den würdevollen Primanern, Stnngen- llettcru, Ballwerfe», Steiustoßeu, Speerwerfen, Vogelschießen und was weiß ich noch, die Scharen i» Bewegung setzte. Wohin das Auge blickte, frohe und eifrige junge Gesichter, überall Jubel uud Frohsinn. Alle die Griechen nnd Lateiner, die Großen uud die Kleinen waren einmal eins: deutsche Jungen, die wußte», was sie wollten: de» Preis erringe»! Und die Lehrer Waren einmal Kameraden; man wußte nicht, wer mehr nnd lustiger bei der Sache war, sie oder die um sie ge> scharten Jungen.

Einer war noch dabei aus meiuer alten Schulzeit bor Sechsundsechzig, aus der Zeit, wo ich die Ehre hatte, mich vor ihm zu blmniren es ist mir immer noch unheimlich schülerhaft zn Mnte, wenn ich dem guten Professor unter die Augen trete. Er stand auf der Veranda des Schützcnhanses unter den Zuschauern, sein Enkelkind auf dem Arm, und sah mit fröhlichen Augeu iu das GeWoge der Festwiese hinaus. Ob er an die Zeit dachte, wo sich der Junge auf seinem Arm auch einmal mit dort nnten tummeln würde, oder an die Zeit zurück, wo sich uoch niemand so etwas wie eine Sedanfeier hatte träumen lassen? Wir ältern spüren uoch ihreu bleiernen Druck uud schon will man Sedan vergessen und findet seiue Feier ein müssiges Spiel.

War das da nnten vor uns nur ein müssiges Spiel? War es nur eine leere