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Versandgeschäften, Warenhäusern und Konsumvereinen, und diese neuen Formen des Handels werden, nachdem sie eine gewisse Ausdehnung erreicht haben, ins Stocken geraten; sie werden bestehen bleiben, aber neben ihnen wird noch der Klein­handel fortleben. Von der Vernichtung des Zwischenhandels erwartet May ganz dieselben Vorteile wie Uhlenhorst; einerseits werden die unproduktiven Vermittler genötigt sein, sich iu produktive Arbeiter zu verwandeln, andrerseits wird die durch die Verbilligung der Wareu erhöhte Kaufkraft der Arbeiter hinreichen, diese neuen Arbeiter zu beschäftigen. Daß die Vernichtung der kleinen Geschäfte und der Absturz der kleinen Unternehmer in den Arbeiterstnnd zunächst die Unzufriedenheit erhöht, hält May für kein Unglück; im Gegenteil, wenn diese Leute, die ein besseres Leben gewöhnt sind als die gebornen Arbeiter, doppelt unzufrieden werden und die übrigen Arbeiter noch unzufrieduer macheu, als sie vorher schou wareu, also dem Streben nach Einkommeuerhöhung einen neuen Ansporn verleihen, so fördert das ja die seiner Ansicht nach zum Heile führende Entwicklung.

Die Unterbringung der vernichteten oder zu vernichtenden Existenzen des Mittel­standes im höhern Arbeiterstande stellen sich die beiden Kaufleute, die so rührend bescheiden von ihrem eignen Stande denken, doch Wohl ein wenig zn leicht vor. Wir sehen ein, daß die heutigen Einrichtungen vielfach nnzweckmäßig sind, weniger noch im Kramhaudel als in andern Zweigen des kaufmännischen Geschäfts, z. B. im Versichcruugsweseu. Wie selten sind bei der heutigen Banarbeit und beim heutigen Feuerlöschweseu die Brände! Die Feuerwehr mittlerer Städte fühlt sich schon hochbeglückt, weuu sie im Laufe des Jahres zwei Gardinenbräude zu löschen hat; ist aber am Ende gar einmal ein Fenstertrenz mit angebrannt, so weiß sie sich vor Frende gnr nicht zu fassen, nnd desGut Schlauch"-Rufeus an den Vereinsabenden ist kein Ende. Wer kriegt also das heidenmäßig viele Geld, daS unter dem Namen von Versicherungsprämien zusammenfließt? Anßer den Aktionären die hochbesvldeteu Versicheruugsbeamteu, die Agenten, die jahraus jahrein auf den Dörfern herumlaufen uud sich um jeden einzelnen Bauer raufeu, die Handwerker, die die Geschäftspaläste erbauen, die Zeituugeu für Reklame, die Post für Ver­sendung von Prospekten usw. Gewiß eiue lächerliche Einrichtung. Aber all das Volk unterzubringen, wenn die überflüssige Maschineric durch Verstaatlichung be­seitigt würde, mochten wir uus doch nicht mcheischig machen. Lassen wir durch Wegfall der Ausgaben für Versicherung die Versicherten um ein halbes Prozeut ihres Einkommens kaufkräftiger werden deren erhöhte Nachfrage zn befriedigen, das wird für die schon bestehenden Geschäfte, die alle über schlechten Absatz klagen, eine Kleinigkeit sein. Das Unglück ist, daß wir alle zu fleißig sind. Es wird viel zu viel gearbeitet. Die Vorzüge eines Menschen oder eines Volkes sind die Quelle nicht allein seiner Frenden, sondern auch seiuer Leiden; ihnen verdankt jedes seine Erfolge, sie bereiten ihm aber auch den Untergang. Die Europäer verdanken ihrer rastlose» Regsamkeit nicht allein ihr Übergewicht über die Asiaten, sondern auch alle ihre Wirrnisse uud Verlegenheiten. Wie überflüssig wäre die ganze Gesetzgebers gegen den nnlauteru Wettbewerb, wenn wir so wäreu wie die Türken; wenn jeder, der etwas zu verkaufe» hat, ruhig dasäße, seinen Tschibnk rauchte und ans die Kunden wartete, die ihm Allah schicken wird, ohne einen Finger zu rühreu, um welche herbeizuziehen, und käme gar keiner, Gott dafür dankte, daß seine Ruhe nicht gestört worden ist! Wie überflüssig ist doch unsre Viclgeschäftigkeit! Wieviel Tagediebe hcibeu auch iu dem unruhigen Europa in alte», mittlern nnd noch in neuern Zeiten bis an die Schwelle des neunzehnten Jahrhunderts die drohende Überproduktion aufgehalten: Luxussklaven, Schmarotzer, vornehme