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Unberechtigte und berechtigte Ausländerei
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Unberechtigte und berechtigte Auslanderei

sie es leider! in der Heimat, in Deutschland nicht lernen können. Weder die Erziehnng unsrer jungen Mädchen in der Schule noch die im Elternhause ist darnach angethan, sie in ihrem Auftreten selbständig zu machen, ihnen ein ungezwungnes, natürliches Benehmen, namentlich den Männern gegenüber, zu geben. Solange die Trennung der Geschlechter auf der Schule und die Dressur des herangewachsenen Mädchens auf den Manu bei uns im Schwange ist, so lange wird auch das deutsche Mädchen ewig das schüchterne Gretchen bleiben, das hinter jedem Manne sofort einen geeigneten Liebhaber oder zu­künftigen Gatten sieht. Selbständigkeit, wie sie das Leben heutzutage auch von der Frau verlangt, kann es vorläufig nur in fremder Schulung, in Eng­land oder Amerika finden. Wollt ihr ihnen also nicht Gelegenheit verschaffen, sie sich zn Hause anzueignen, so laßt sie ruhig deuSchliff" der jungen Eng­länderin oder Amerikanerin annehmen; es wird zu ihrem und ihrer Nachkommen Vorteil sein. Daß unsre Mädchen dabei nicht zu so emanzipirten Zwittergeschöpfen wie die große Mehrzahl der amerikanischen Frauen werden, dafür bürgen ihre zn tief eingewurzelten gutdeutschen Charaktereigenschaften, die sich nicht ohne weiteres abstreifen lasfen. Und was von den Mädchen gilt, das gilt auch von den Männern. Auch sie können manches von dem Ausländer lernen, um an Stelle der jetzt bei uns herrschenden Bevormundung durch Schutzleute, Schaffner, Schreiber u. dergl. selbstbewußtes und selbständiges Auftreten und Handeln im öffentlichen Leben bei uns einzuführen. Darin wird von uns Deutschen viel zu wenig Ausländerei getrieben. Das lese ich aus den an­geführten Worten des Gartenlaubenschreibers heraus. Man sieht, es kommt nur ans die Auffassung an.

Ebenso wenig kann ich in der angeführten Äußerung einesakademisch gebildeten Deutschen" eincharakteristisches Beispiel für den Mangel der Selbst­achtung unter uns Deutschen" sehen, wie es der Verfasser jenes Aufsatzes thut, svndern nur eine harmlose, an sich sehr richtige Bemerkung, aus der wir für unsre Erörterung manches lernen können, und darum sei auch sie be­sprochen. Natürlich wird ein vornehmer Engländer nicht immer genau das­selbe thun, was ein vornehmer Deutscher thut, aber doch auch umgekehrt. Vornehmheit in dem hier angewandten Sinne ist nichts angebornes, sondern ein Erzeugnis des Umgangs, den wir haben, vor allem der Erziehung. Wer möchte aber bestreikn, daß englische und deutsche Erziehung grundverschieden sind, daß also auch trotz mancher Übereinstimmung in Einzelheiten der Deutsche einen andern Begriff von Vornehmheit gewinnt als der Engländer? Nehmen wir ein paar vornehme Vertreter beider Nationen und stellen sie hinsichtlich ihrer Vornehmheit iu Vergleich, so wird sicherlich keinem von beiden vor dem andern der Vorzug gegeben werden können, obwohl sie sich unter einander ge­waltig unterscheiden. Solange sich jeder von ihnen innerhalb des Kreises bewegt, der dieselbe Ansichten über Vornehmheit hat wie er, so lange wird er natürlich nach der Regel dieses Kreises leben. Begiebt er sich aber in einen andern Kreis, wo andre Ansichten herrschen, so wird er sich als kluger Mann darnach einzurichten wissen. Thut er das nicht, so zieht er sich den Vorwurf der Unbildung zu. Um diesem Vorwurfe zu entgehen, würde ich für meine Person gern etwas von meinem Nationalstolz aufgeben im Verkehr mit Leuten, von denen ich weiß, daß sie mich andernfalls der Unbildung zeihen würden. Lieber will ich da den Tadel einiger auf mich nehmen, daß ich mich und meine deutsche Nationalität mißachtete. Ich meine aber mir und damit