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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches 41

den obrigkeitlichen Zwang und gegen die individuelle Freiheit wirken, und wenn sie den untern Klassen die Anerkennung der Gleichberechtigung verweigern, das sieht ein Blinder. Wollen sie bei solchen Grundsätzen die Mehrheit erlangen, dann müssen sie durch einen Staatsstreich den untern Klassen ihr Wahlrecht verkürzen oder nehmen. Den Staatsstreich herbeizuführen, dürften aber die ewigen Jammer­artikel nicht das geeignete Mittel sein, da man an der entscheidenden Stelle wahr­scheinlich weder Zeit noch Lust hat, sie zu lesen. Was sreilich aus dein Reiche werden wird, wenn ihm die unbemittelte Mehrheit des Volkes mit deuselben Ge­fühlen gegenübersteht wie jetzt den Negierungen von Preußen uud Sachsen, wenn sich das Kaisertum, wie Professor Delbrück im ncuesteu Hefte seiner Zeitschrift schreibt, mit der großen Mehrheit des Volkes in einen dauernden, unausgleichbareu Zwiespalt versetzt, das ist die andre Frage. Außerdem werden dann die Herreu in der Notnbelnversammluug, die sie au die Stelle der Volksvertretung setzen möchten, mit der Kreuzzeituugspartei um die Herrschaft zu riugen haben.

Bei der Entscheidung für die reaktionäre Strvmuug in den Wirtschaftsfragen glauben nuu allerdings die Mittclparteiler den klügsten Teil erwählt zu habeu, weil ja diese Strömung gerade vo» deu Massen getragen zu werden scheint. Indes ist das doch eben nur Scheiu, und ein Schein, der nicht mehr lauge vorhalten wird. Der Antisemitismus ist iu der Auflösung begriffen. Die Zünftler machen zwar immer noch das größte Geschrei im Handwerkerstande, aber sie bilden mich immer noch nur einen kleineu Teil dieses Standes. Der Bnnd der Landwirte endlich ist mit seinem Latein zu Ende. Zwar werden seine Blätter und seine Wander- redncr noch einige Zeit fortfahren, den Bauern mit der Berechnung der Vorteile, die ihnen das Getreidemonopol und die Doppelwährung bringen würden, den Kopf schwindlig zu machen, aber da sich die beidengroßen" Mittel nun einmal nicht durchsetzen lassen, so werden es die Bauern, nüchtern wie sie sind, bald satt be­kommen, sich mit Lustschlössern uuterhalten zu lasseu. Seit der Erklärung, die die englische Regierung am 17. März im Uuterhause abgegeben hat, und die das Wort der Grenzboten in Nr. 11, S. 505 bestätigt, daß iu England sieben bimetallistische Minister noch lange kein bimetallistisches Ministerium bedeuten, seit dieser Er­klärung ist der Bimetallismus endgiltig aus der Reihe der politischen Fragen in das Reich der Phantasien versetzt. Fünfzehn Jahre lang ist Herr von Kardorff mit seiner Silberrede, die er bei jeder passenden und bei jeder unpassenden Ge­legenheit losließ, der Schrecken des Reichstags gewesen, aber in der Sitzung vom 23. Mürz hat er keiue gehalten, obgleich sich der Abgeordnete Barth das boshafte Vergnügen machte, die Wnhruugsfrage anzuschueideu, sondern mit Betrübnis zu­gestanden, daß esvorläufig" nichts sei.

Nicht allein verlieren die Schlagwörter des Bundes ihre Zugkraft, sondern die Opposition der Landwirte gegen ihn wird immer stärker. Die vereinzelten Stimmen tüchtiger Landwirte, die sich, da ihnen die Spalten der konservativen Blätter verschlossen blieben, in freisinnigen äußern mußten, wurden wie so manche gegen den Bund gerichtete Erklärung pommerscher Vereine totgeschwiegen; die Oppo­sition der Landwirte Westfalens uud der Rheinproviuz wurde als ein Werk der Zentrumspartei abgethan. Jetzt wird aber eine Stimme laut, die man nicht wird überhören können, und mit der die Zentrumspartei nichts zu schaffen hat. Herr Dettweiler in Laubenheim, der dem Vorstande des Landesausschusses der hessischen landwirtschaftlichen Vereine und dem Verbandsvorstande der hessischen landwirt­schaftlichen Genossenschaften angehört, berichtet in der Zeitschrift der hessischen land­wirtschaftlichen Vereine über die Lage der deutschen Landwirtschaft, kritisirt dabei Grenzboten II 1896 6