Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Einige demokratische und mich katholische Blätter haben hervorgehoben, daß von den drei volkstümlichen oder wenn man will demagogischen Bewegungen, deren sich die ostelbischen Rittergutsbesitzer bedient haben, um die mittlern und untern Volksschichten au sich zu ziehen, nun schon zwei, die antisemitische und die christlich- soziale, von der konservativen Partei abgestoßen worden und in feindlichen Gegensatz zu ihr getreten sind, nnd sie glcmben daraus die Hoffnung schöpfen zu dürfe», daß sich dieser Reinigungsprozeß recht bald auch auf die dritte, durch den Bund der Landwirte vertretene, erstrecken werde. Dem hat jedoch die Kölnische Volkszeitung ganz richtig entgegengehalten, daß daran nicht zn denken sei, weil die Ziele des Bundes der Landwirte mit denen der konservativen Parteileitung zusammenfallen; nach andern Schlagworten wird sich der Bund allerdings nmsehen müssen.
Die Auseinandersetzung zwischen der konservativen Parteileitung und Stöcker ist zunächst darum ein erfreuliches Ereignis, weil das politische Leben an Ehrlichkeit gewinnt, wenn die Konservativen als reine Agrarierpartei auftreten und auf christliche und soziale Redensarten verzichten. Dann noch aus einem cmderu Grunde. Je weniger das Agrariertum mit fremden Elementen und Bestrebungen verquickt ist, desto deutlicher wird es sich zeigen, daß die Hindernisse, die der Verwirklichung seiner Pläue iin Wege stehen, nicht außer ihm, sondern in ihm liegen. So lange es antisemitische und christlich-soziale Ziele verfolgte oder zu verfolgen schien, war es weder der Regierung noch der Mehrheit der Volksvertretung sicher, als reine Agrnrierpartei beherrscht es beide Mächte. Das vorigemal haben wir darauf hingewiesen, daß in der Regiernng, dieses Wort im weitesten Sinne genommen, auch nicht ein Mann sitzt, der nicht von Herzen, schon aus Persönlichem nnd Familieuinteresse, die Landwirtschaft so einträglich und die Gutsbesitzer so wohlhabend wie möglich zu machen wünschen müßte. Heute erinnern wir noch daran, daß nicht allein der preußische Landtag, sondern mich der Reichstag, der ans dem viclgeschmcihten allgemeinen Wahlrecht hervorgcgangne vielgeschmähte Reichstag, eine agrarische Mehrheit hat: die Freikonservativen, das Zentrum, die Polen und ein Teil der Nationallibernlen sind ganz ebenso agrarisch wie die Konservativen, nnr daß sie nicht Pläne als Agitationsmittel gebrauchen mögen, deren Unansführbarkeit auf der Haud liegt, und daß das Zentrum den Bund der Landwirte als Konkurrenten nm die Gunst der Banern verabscheut. Es giebt keine Macht im Staate, die die Agrarier hindern könnte, sich mit so viel „kleinen" Mitteln zu helfeu oder zu bereichern, als sie wollen, wenn sie nur uuter sich einig würden. Diese ihre Uneinigkeit, die aus dem widerspruchsvolle» Weseu ihrer Ziele entspringt, zu verdecke», projizirt ihre Phantasie oder ihre Taktik die innern Hindernisse in die Außenwelt: in die Mnnchesterleute, in die Judenpresse, in die Börse, in die Minister und Geheiinräte hinein. Die Gegner der Agrarier sollten die Herren ruhig allein mache» lassen; diese können keine Maßregel besprechen, ohne einander, wie bei den Staffeltarifen, gcge»seitig i» die Haare zn geraten. Die Zuckersteuerreform stellt das reim Paradigma aller protektiouistischen Maßregeln dar. Den Zuckerpreis kann mau auf keine andre Weise hebe» als durch Beschränkung der Produktion; wird aber diese loutiugeutirt, dann schreien die Landwirte, die ebenfalls Rüben- bvden, ober noch keine Zuckerfabriken haben: mit welchem Recht wollt ihr nns eine gmiinnbringende Verwertung nnsers Bodens verbieten, die euch reich gemacht hat? Ähnliche Widersprüche ergeben sich bei allen gegen die Verschuldung vorgeschlagnen Maßregel». Die Verhandlungen des Landwirtschaftsrnts über Lagerhanswesen und Warrantverlehr nm 6., und die des Reichstags über die Transitlager am 7. enthüllen nicht geringere innere Schwierigkeiten. Schon jammern unsre Landwirte über die neue Schädigung ihrer Interessen, die ihnen aus der bevorstehenden Er-