Englische historische Romane
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kann Schönheit und Gesundheit des Leibes bewahren, ja kann sogar die Jngend länger erhalten, als sich die Materialisten je träumen lassen; er lehrt das Unglück tragen, als wäre es Freude, ja selbst im Tode lehrt er triumphiren." Der Roman soll durch seine wunderbare Erfindung, in der die sichtbare und die unsichtbare Welt ineinanderspielen, für diesen Glauben, diese Überzeugung Propaganda machen. Wie weit er das vermag, können wir ruhig dahingestellt sein lassen; die Poesie hat nur mit Seelenkräften und nicht mit elektrischen Strömungen zn thun. Der Hochmut, der sich hinter diesem spiritistischen Sektentum birgt, die tiefe Verachtung, die die Verfasserin für die schlichte Seelenreinheit, die schlichte Liebe, das einfache Mitleid znr Schau trägt, das die dunkeln und verworrnen Wege unsers Lebens erhellt, suchen ihresgleichen im Übermenschentum der Modephilosophie. Es ist überall dieselbe Erscheinung: das Bedürfnis, den uralten, heiligen und ewigen Maßstäben menschlichen Wertes zu entwachsen, falsche, trügerische Maßstäbe an ihre Stelle zu setzen nnd damit die eigne Größe und Unfehlbarkeit zu beweisen. In den Ausnahmemenschen dieses Romans steckt die ganze Überhebung dieser Tage, die mit sittlicher Größe, mit innerer Weihe, mit reinerm Empfinden und werkthätiger Menschenwürde so wenig zu schaffen hat. Die Szene, mit der der mystische Heliobas den Prinzen Iwan Petrowsky entläßt und ins Leben hinausschickt, reicht allein aus, den wahren Charakter dieser Art von Idealismus ins rechte Licht zu stellen. Die Dame, der die Erzählung in den Mund gelegt und. die, wie es scheint, eine Musikerin ist, giebt weltlich-hochnäsige Kunsturteile zum besten, nennt Bach einen abscheulich langweiligen Tyrannen, Beethoven ein wenig langweilig, und behauptet, Schubert sei ein größerer Musiker geworden als Beethoven, wenn er länger gelebt hätte. Nun, das sind Ansichten und Aussprüche wie andre auch, sobald sie von einem einfachen, wenn auch hochbegabten Menschenkinde ausgehen. Aber wie anders stellt sich die Sache dar, wenn das rcisonnirende Menschenkind zu der Gruppe der geheimnisvoll Auserwählten gehört, die „ihre mächtigen elektrischen Organe bei richtiger Pflege zu ungeahnten geistigen Fähigkeiten entwickelt haben." Widerspruch wird dann zur Todsünde, und andres Empfinden heißt brntaler Materialismus.
Wie gesagt, der Roman der Miß Corelli gehört nicht zu den historischen. Aber ein Blick in ihn hilft vielleicht klar machen, wo die Wurzeln zu den oben charcckterisirten wunderlichen Ab- und Ausartungen einer Gattung zu suchen sind, die vor Zeiten der Darstellung kraftvollen, eigentümlichen Lebens überaus günstig war und nirgends günstiger als in der englischen Litteratur.
Grenzboten I 1896
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