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Das Petroleum
ziehe», in Deutschland raffiniren, Difserenzinlzölle zwischen vrnclo nnd roliuvcl, rnssisches Pctrvleum impvrtiren und mit amerikanischem mischen, den Verbrauch einschränken — dann wird man sie schon klein kriegen, die Amerikaner u. s. w., n. s. w.
Es ging mir merkwürdig bei dieser Lektüre. Ein andrer würde vermutlich Schwefel gerochen haben, ich aber roch Lindenblüte. Es war mir ein Gedanke dnrch den Kopf geschossen und hatte einen andern, ganz verwandten Gedanken „ausgelöst," den ich einmal vor einigen dreißig Jahren gedacht hatte, und der jetzt wieder im Gehirn erwachte. Plötzlich, greifbar deutlich, stand einer der frühesten Tage meiner Jugend vor mir. Wir jungen Herren aus Obersekuuda sitzeu auf den Wnrzelknorren einer uralten, mächtigen Linde. In dem berechtigten Stolz auf unsre höhere Weisheit und unser ehrfnrchtgebietendes Alter hielten wir uns immer etwas abseits; diese Linde war der von allen anerkannte Stammsitz der Obersckunda während der großen Pause, der Freiviertelstundc, wie wir damals sagten. Ein hübscher Platz: rechts etwas im Hintergründe der rote Ziegelban der Schule, gerade vor uns, jenseits der Promenade, die lauggestreckte Mauer von Vogts Garten, dicht an unsrer Linde vorbei, die Allee entlang laufend, das Geläuder aus niedrigen Sandsteinpfeilern, durch die sich eiue dicke, vierkantige, eiserne Barre zog, hinter der Einfassung fiel ein rasenbedeckter Hang nach dein Stadtgraben ab, jenseits erhoben sich terrassenförmig die „Zwinger," schmale bis an die Stadtmauer reichende Gürten, und dahinter die Ziegeldächer, friedlich qualmende Schornsteine, die scharfe Zwillingsspitze des mit Schiefer gedeckten Kirchtums, kurz das biedre Städtchen, das noch keine Ahnung davon hatte, wie stolz es einst auf diesen Obersekundaner sein würde.
Ich höre mich wieder ganz deutlich reden. Wir hatten eben den Untergang der Merowinger „gehabt." Ich war damals ein erfolgreicher Redner, meine lieben Mitschüler verwöhnten mich mit Beifall nnd hatten es gern, wenn ich unter diesem Lindenbaum nach der Stunde entweder „Geschichten erzählte," Randglossen zu dem Gehörten zum besten gab oder gar höchst un- ehrerbietigerweise die vorgetragne Geschichtsauffaffuug aus persönlichen Mängeln des Vortragenden ableitete. Der vagabuudirende Pädagog — ich glaube, er wartete ans irgend eine wirkliche Anstellung, trieb sich inzwischen an Schuleu herum, ließ die Schüler irgend einen Leitfaden auswendig lernen nnd sich dafür als Geschichtslehrer bezahlen —, dieser Herr also galt bei uns als ein beschränkter Kopf, weil er uns einmal, über ein Komma in dem Leitfaden hinweglesend, die indischen Flüsse Acesines und Hydraotes für Könige und Kampfgenossen des Herrschers Porus hatte verkaufen wollen und erst dnrch den lauteu Protest der ganzen Klasse davon abzubringen gewesen war. Außerdem aber hielten wir ihn für einen schlechten Kerl, weil er nicht ein Mann des offnen Worts, sondern der kleinlichen Rache war, und die sittlichen Ansprüche