Heimat und volkstum
277
bis auf die einzelnen Phrasen der Redner. Man könnte aus diesem Zusammenstimmen den Schluß zieheu, daß das deutsche Volk deu im Interesse der Reichs- eiuheit wünschenswerten nationalen Charakter endlich gewonnen habe, und das ist ja auch mehr der Fall, als z. B. die süddeutsche Demokratie glauben machen möchte. Znm Teil spielt da aber mich die Phantasielosigkeit des heutigen Geschlechts mit, die das Bier bei den heutigen Feste» zur Hauptsache gemacht hat und nichts audres mehr kennt als „Kommerse." Wenn wir die nationalen Feste nur freudig begeistert feiern, so ist es gleich, wie wir sie feiern, und man könnte wohl auch bei ihnen der heimischen Besonderheit bis zu einem bestimmten Grade Rechnung tragen. Nicht umsonst hat Fürst Vismarck bei seinen Besuchen aus den verschiednen deutscheu Landen stets das Stammesgefühl angerufen; nur dann kann das Vaterlandsgefühl stark und gesund sein, wenu es auf starkem Stammes- und Heimatsgefühl gegründet ist; denn nicht für eine Grenze und ein staatliches Gebilde zieht der Krieger freudig ins Felo, sondern für Heimat und Herd. Für die Empfindung müssen die Begriffe Heimat, Volkstum und Baterland eins sein; eine starke Liebe, ein freudiger Stolz, das ist das Rechte.
Im übrigen spiegelt sich ja das Volkstum, seine beste Kraft und Art weuiger in den Sitten, als in der Sitte, nicht in dem, was man gewohnheitsmüßig thut, sondern in dem, was man darf; mögen die Sitten aussterbcu, die Sitte läßt sich erhalten. Verschwenderische Bauernhochzeiten sind unserm Volke nicht so notwendig, wohl aber ist es gut, wenn ein Vauernmüdcheu genau weiß, wie es sich Verhalten muß, wenn es den Ruf eines ehren- nud tugendhaften Mädchens bewahren will. Das ist das Gebiet, auf dem der Geistliche den größten Einfluß hat, und ich halte es gar uicht für so schlimm, wenn er seines Amtes auch einmal nach Zensorenart waltet, vorausgesetzt, daß er sich nur die Mühe giebt, die volkstümliche Überlieferung kennen zu lernen, und sie nach Möglichkeit berücksichtigt. Die Freiheit der Persönlichkeit ist freilich eine schöne Sache, aber man darf doch uicht übersehen, daß sich uuter diesem Namen oft böse Selbstsucht und eine Fülle schlechter Neigungen versteckt, lind außerdem leben wir nicht mehr im Jnquisitionszeitalter; wo sich ein wahrhaft freier Geist, eine wirkliche Energie Bahn brechen will, da werden Rigorismus und Beschränktheit schwer etwas ausrichten können.
Schlimm steht es gegenwärtig vielleicht mit den rechtlichen und staatlichen Anschauungen des Volks, da hier die alten Überlieferungen völlig zu Grunde gegangen sind, und der Überfluß parteipolitischer Weisheit, mit der man das Land überschwemmt hat, nirgends Wurzel gefaßt hat. Mein Landsmanu A. U. Hansen hat in seinen „Charakterbildern" ein großes Kapitel „Ans dem Gebiet des Rechts in Staat, Kirche und was dem anhängig" geschrieben, aber Praktisch ist daraus heute natürlich nur noch wenig brauchbar, so interessant auch alles für den Gebildeten ist. Hier wird man in volkstümlicher Form