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Staatshilfe oder Selbsthilfe?
Gesellschaftsretter zugeben wollen. Der Mensch hat nicht allein mit der Natur, er hat auch mit seinesgleichen einen beständigen Kamps zn führen. In den Kämpfen der Völker unter einander, anch wenn wir dabei nur an wirtschaftliche Kämpfe denken, ist die Selbstsucht stärker als die Liebe. Und es steht nicht bei uns, die Waffen zu bestimmen, die hierbei gebraucht werden, mit denen auch wir uns wehreu müssen. Wir haben nicht die Macht, unsern Grundsätzen von sozialer Gerechtigkeit und von einem dem Menschen zukommenden geringsten Maße der Lebenshaltung allgemeine Geltung zu verschaffen. Erst vor kurzem ist die Kulturwelt erinnert worden an die Gefahr, die ihr von einer Menschenrasse mit niedriger Lebenshaltung droht.
Aber auch zwischen den Einzelnen, zwischen Man» und Mann werden wir den wirtschaftlichen Kampf nicht ganz beseitigen können, mögen sich auch seine Härten mildern lassen. Wir werden es nicht dahin bringen, im großen und ganzen anstatt der Gewinnsucht das Wohlwollen zur Triebfeder der wirtschaftlichen Unternehmungen zu macheu; wir werdeu es nicht dahin bringen, daß der Mensch mit derselben Freudigkeit für nudre schafft, wie für sich selbst, es sei deun, daß ihn sein eignes Interesse ans die Vereinigung mit andern hinwiese und er dadurch zu Aufgaben befähigt würde, für die die Kraft des Einzelnen nicht ausreicht. Wir können es auch nicht ändern, daß durchweg menschliche Dienstleistungen irgend welcher Art darnach beurteilt und belohnt werden, welchen Wert sie für den haben, der diese Leistungen empfängt. Mit andern Worten: was der Arbeitende auf irgend einem Gebiete von dem Wohlwollen andrer, von ihrer Rücksicht aus seine Lage zu erwarten hat, das bleibt immer untergeordnet und minderwertig im Verhältnis zn dem, was er dnrch den eignen Wert seiner Arbeit zu erzwingen vermag. Darum müssen wir suchen, die Widerstandskraft gegen Übervorteilung und ungünstige Lage in den Arbeitenden selbst hineinzulegen.
So können wir denn auch die Unterschiede der äußern Lage, die durch das Verhalten der Einzelnen entstehen, nicht beseitigen. Wir können dem nicht emporhelfen, dessen Leichtsinn und UnWirtschaftlichkeit die Wirkung jeder wohlwollenden Fürsorge für ihn verdirbt. Eiue Gesellschaftsordnung, die dem Unwürdigen, dem Leichtsinnigen, dem Verschwender das Recht zuspräche, ohne eigne Anstrengung durch fremde Hilfe auf dieselbe Stufe emporgehobeu zu werdeu, worauf der Thatkräftige und Strebsame steht, wäre nicht gerecht, sondern im höchsten Grade ungerecht und dazu unverständig, denn es würde ihr jedes Mittel fehlen, wirtschaftliche Tugenden zu wecken und zu Pflegen, ja sie würde geradezu eine Aufmunterung zu wirtschaftlicher Untüchtigkeit bedeuten.
Solche Erwägungen sind für die Vertreter des Sozialismus nicht vorhanden. Es ist aber bemerkenswert, wie sehr sich unsre heutigen Gesellschaftsretter in diesem Punkte sozialistischen Vorstellungen nähern. Wirtschaftliche Not