Maßgebliches und Unmaßgebliches 247
Wir fragen uns: Wer ist so Urteils- und geschmacklos, eine vertraute Plauderei, die so deu Stempel des Vorgesprächs trägt, der Öffentlichkeit zu übergeben? Der Verdacht, daß der Gedauke Bismarcks ius Unkenntliche verzerrt sei, ist kaum abzuweisen. Man ziehe doch die Summe dieser politischeu Rechnung und sehe, was für Deutschland bleibt. Aber es ist ja auch uicht unmöglich, daß der große Staatsmann gerade so gesprochen hat. Dann ist er zu bedauern, daß er Zuhörer gehabt hat, die auch solche Scherze für genial und der Aufbewahrung würdig hielten. Für unsre Zeitungen ist die Veröffentlichung von Aussprücheu Bismarcks eine Art Sport geworden. Wenn ein Paar Tage verstrichen sind, ohne daß eine Unter- reduug oder eine Rede von ihm gebracht werden konnte, scheinen sie eine gähnende Lücke zu empfinden. Auf Sinn und Gehalt kommt es gar uicht mehr an. Wie wenig uuu gerade diese Eriuucrung zu der ernsten Arbeit stimmt, die seit Jahren in Deutsch-Ostafrika geräuschlos geleistet wird, dem Tauschobjekt, das sich mehr und mehr als eine treffliche, wenn auch schwere Schule der Tropeukolvnisation für Deutschland erweist, das empfinden sie gar nicht. Und wie sie das Politische Urteil trüben, das bei uns iu kolonialen Dingen ohnehin so jung ist, erst recht nicht.
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Zur Abwehr. Die Post bringt in Nr. 2!>l. vom 28. Oktober 1895 unter Revue der Presse nachfolgende Bemerkungen:
Durch ihre sozialistische» Neigungen fällt erneut die Zeitschrift Grenzbvten nnf; die Schlesische Zeitung nagelt hierfür folgende Proben fest:
„Ein Artikel der Grenzboten über denBreslauer sozialdemokratischcn Parteitag beginnt mit folgenden Sätzen: Von allen Parteitagen ist der sozialdcmokratische der erträglichste. Während auf den Versammlungen der herrschenden Parteien die bekannten Redensarten von Automaten heruntergeklappert werden, die dabei so wenig fühlen wie ein Hammerslein beim Preise der christlich-germanischen Tugend, sieht und hört man bei den Sozialdemokraten warme Menschen, die warm von menschlichen Dingen reden. . . . Hätten unsre Arbeiter die englische Koalitionsfreiheit, sv konnten sie sich gleich ihren englischen Genossen auf ihre Gewerkschaftsangelegenheiten beschränken; da sie sie nicht haben, so bleibt ihnen nichts übrig, als eine den herrschenden Parteien feindliche politische Partei zu bilden und sich das Recht, das ihnen verweigert wird, zu erkämpfen."
Diese Auslassnug ist unch ihrem ganzen Zusammenhang offenbar feindlich gemeint, um »ach berühmtem Mnster die Grenzboten in der öffentlichen Meinung der sozialdemokratischeu Gesiuuuug zu verdächtigen.
Was ärgert nun eigentlich die Post an diesem doch anscheinend recht harmlosen Auszuge ans dem Maßgeblichen nnd Unmaßgeblichen des Heftes 42? Darf man überschwnngliche, überzeugnngstrcn vorgetragne Ansichten nicht mehr interessant finden, ohne sozialistischer Neigungen verdächtig zn sein, oder wird man dadurch Sozialdemokrat, daß man durch vernünftige Maßregeln die Sozinldemokratie von der politischen Bühue hinwegzndrängen sucht? Auch die verehrliche Post wird einsehen, daß Saladin, der in seiner Güte durch Freigebigkeit die Bettler mit Stumpf nnd Stiel vertilgen wollte, der Bettelei selbst und dem Bettelstnnde wahrhaft feind gewesen ist. Muß ferner jeder, der nicht auf Seiten der Sozialdemokraten steht, in Wort und Schrift mit automatischer Feierlichkeit deu Zweifel an ihrer Überzeugungstreue herunterleiern? Hat doch Mirabeau bloß deshalb die Macht des tyrannischen Robespierre vorausgesagt, weil er erkcmnte, daß der Mann an das glaubte, was er redete. Trotzdem wird doch kein vernünftiger Mensch behaupten dürfen, daß Mirabeau jemals auf dem Politischen Standpunkte Robespierres gestanden hätte. Wer die Kölnische Zeitung nicht nur mit Vergnügen liest, sondern auch ihre Ansichten für die allein richtigen hält, der darf doch immerhin ihre Kollegin, die eine schnurstracks entgegengesetzte Politische Richtung verfolgt, die Kölnische